Was an dieser Stelle nicht zu erwarten ist, sind Geheimtipps. Wir sind schließlich das erste Mal in London oder – im Falle der Besten aller Ehefrauen – zum zweiten Mal seit Jahren hier. Hinzu kommt, dass wir Besitzer des <i>London Passes</i> sind und all das, was dieser an Möglichkeiten bietet, ist sicher auch nicht als Geheimtipp zu bezeichnen. Mit dem Wort habe ich sowieso meine Schwierigkeiten: Wenn etwas erst einmal in einer Zeitung, einem Buch oder auf einer Webseite steht, hat es sich mit dem „geheim“. Dann ist es öffentlich.
Da wir was von der Stadt sehen wollen, schließlich haben wir nur zwei ganze Tage hier, standen wir nicht so spät auf. Kurz nach sieben Uhr regten sich die Geister und wie ein gut geschmiertes Team waren wir um halb neun Uhr alle bereit, in das Abenteuer „Stadt“ zu starten.
„Wenn wir zu dem Café quer gegenüber gehen“, meinte die Beste aller Ehefrauen und spielte auf das Frühstücksthema an, welches noch ungeklärt war, aber dringend gelöst werden musste, und darauf, dass dieses Café idyllisch am Ufer auf einem Boot lag, „dann werden die doch eine ähnliche Toilette haben, wie wir hier.“ Dem konnte nur zugestimmt werden. Mehr musste auch nicht gesagt werden, denn damit war klar, dass das Café gegenüber noch so schön sein konnte, es war aus der engeren Wahl herausgefallen. Wir wollten ein Frühstücksetablissement, dessen stillen Örtlichkeiten Platz, Ruhe, Sauberkeit und Geborgenheit boten. Ein hoher Anspruch, gerade an die öffentliche Varianten dieses Ortes.
Am Vortag hatten wir eine Lokalität gesehen, in der wir gern unser erstes Bier genossen hätten. Als wir um kurz nach sechs Uhr dort ankamen, schlossen sie aber schon den Laden. Wir gingen einfach mal davon aus, dass wer früh zumacht, auch früh aufmacht und in der Tat werkelten dort schon diverse Menschen an einem Frühstücksbuffet. Wir waren allerdings zwanzig Minuten zu früh da und hatten zu warten, das lohnte sich aber. Das für uns sekundär Wichtige, die Essensqualität, stimmte und es war sehr lecker. Eine einzelne Speise von der Karte reichte vollkommen, auch deshalb schon, weil schließlich das Buffet selbst 35 Pfund kosten sollte. Soviel kann man gar nicht essen. Schon gar nicht, wenn man nicht weiß, ob man das Primäre des Ortes auskosten kann: Die Toilette. Nun funktioniere ich nach einem recht simplen Prinzip: Input, Output. Das, was ich oben reinstopfe, bahnt sich gnadenlos den Weg nach unten. Es gibt nicht viel, was dieses Prinzip unterbrechen könnte (es gibt einiges, was das beschleunigt – auf Details will ich aber nicht eingehen). Wir fanden hier eine Massen-Unisex-Toilette vor. Das gab mir die Gelegenheit mit meiner Frau gemeinsam auf Toilette zu gehen, was wir so bisher noch nie gemacht haben und beweist, dass man auch nach fünfzehn Jahren neue Dinge ausprobieren kann.
Zweiter Tagesordnungspunkt war die Aktivierung des <i>London Passes</i>. In unserem Fall geschah das an dem Punkt, wo wir unsere Fahrkarten für die Golden Tour abholten, ein Hop on-Hop off-Unternehmen für London. Eines von vielen, wie man sagen muss. Der Bus kam alsbald und wir sahen dadurch den nördlichen Teil der City of London und er brachte uns ins Zentrum. Genauer gesagt: ins Zentrum vom Zentrum. Wir stiegen bei der St.-Pauls-Kathedrale aus und stolperten dort hinein. Sonntags gibt es dort allerdings keine Besichtigungen, sondern es werden Gottesdienste gefeiert. Deshalb machten wir fast sofort wieder kehrt. Lustig war dort die Sicherheitskontrolle, bei der einfach in mitgebrachte Taschen reingeschaut wird: Am linken Eingang gab es diese, am rechten Eingang nicht.
Aus der Kathedrale heraustretend entdeckte Susanne die Millennium Bridge und so stiefelten wir, völlig ungeplant, erst einmal zu dieser und damit auch zur Themse. Wir traten noch in eine kleine Kirche, die so gar nicht mehr Kirche schien. Die Leute standen herum und aßen, Kinder saßen am Synthesizer und sangen dazu falsch – eine riesige Fete, wenn man so will. Das Café hatte geschlossen. Sehr ungewöhnlich. Es war schon ein wenig Zeit vergangen, so dass wir dort einen kleinen Imbiss nahmen und die nächstgelegene Brücke nahmen, um wieder zurück auf die andere Seite zu kommen. Wir versuchten die Tower Bridge zu erreichen und damit wäre der Tower mit im Spiel.
Richtig gut vorbereitet sind wir nicht nach London gekommen, denn alle waren einigermaßen überrascht, als wir erkannten, dass der Tower nicht ein einzelner Turm war, sondern vielmehr eine ganze Anlage. Wenn man genauer drüber nachdenkt, leuchtet einem das auch ein. Schließlich hatten die Herrschenden von England normalerweise mehr Gegner, die sie gern hinter Schloss und Riegel sahen, als das diese alle in einen einzigen Turm gepasst hätten. Wir spazierten dort hinein, macht eine Reihe von schönen Fotos von der Tower Bridge und schauten uns die Kronjuwelen der Könige an. Als wir dort aufschlugen, war die Schlange recht lang. Die vom Eisstand war nicht so lang, aber da ging es bei weitem nicht so zügig voran, so dass wir diese Schlange wieder verlassen mussten. Dann schlängelt man sich an ungeschickt ausgestellten Info-Tafeln zur Geschichte vorbei (oder kann man mir erklären, warum erst die Geschichte von Sechszehnhundertirgendwas bis zur Moderne – ein Wort was mir im Zusammenhang mit Königen übrigens ein wenig schwer fällt – erklärt und im Anschluss vom Beginn im 11. Jahrhundert bis zum 17. Jahrhundert? Das sollte einem Ausstellungsmacher doch auffallen!) und fährt schlussendlich mit einem Laufband an einigen Kronen mit ihren Diamanten und Juwelen vorbei. Ich will sowas auf dem Kopf nicht tragen müssen und wenn, dann würde ich mir die Kleine von Queen Victoria wählen.
Aus Zeitgründen überspringe ich den Teil des Tages, wo wir Softeis aßen, über die Mauer durch die Türme spazierten und uns einen Cider vor der Tower Bridge genossen, und komme gleich zu unseren Erlebnissen mit selbiger. Durch gewissenhaftes Studieren unseres Bonusheftes vor der Tower Bridge entdeckten wir, dass wir auch das Anspruch hatten, die Ausstellung der Tower Bridge zu begutachten. Nun lag sie in schönem Licht vor uns und wir wollten auch über sie drüber gehen. Eine Ausstellung konnte interessant sein. Aber noch viel interessanter ist, dass man dort auf die Tower Bridge kommt und den Übergang nutzen kann, was ohne Übertreibung, eine wirklich coole Sache ist. Den meisten Leuten, einschließlich mir, hat es der Glasboden angetan, durch den man nach unten schauen kann. Das wird, und das haben wir jetzt nicht erleben dürfen, sicher dadurch gekrönt, wenn die Brücke geöffnet wird (was dreimal am Tag passiert).
Wir hatten jedoch unsere eigene Krönung! Dank unseres Bonusheftes konnten wir einfach durchspazieren und mussten nicht anstehen. Heute ein König!
An der Themse waren Menschenmassen unterwegs. Die meisten flanierten so umher, einige machten Party bei Olympia-Public-Viewing-Events, die es überall in der Stadt gibt, und andere aßen die Werbegeschenke von Müller-Milch. Uns trieb es zur U-Bahn, wir nahmen den falschen Eingang und bezahlten dafür vermutlich 2,40 Pfund. Am Ende der Fahrt standen wir am Picadilly Cirus und hatten Hunger.
Wir schlugen uns in eine Seitenstraße und da bekam die Beste aller Ehefrauen einen Begeisterungsanfall: „Da ist ja das Restaurant von Jamie Oliver!“ Ein italienisches. „Da will ich hin. Lass uns doch mal die Karte anschauen.“ Es roch schon ein wenig nach Systemgastronomie. Nichtsdestotrotz darf man bei Jamie, der sonntags dort nicht persönlich kocht sondern an seinem neuen Buch schreibt, nicht einfach durchstürmen und sich den letzten verfügbaren Tisch greifen. Wenn man das tut, wird man vom Personal wieder eingefangen und zur Platzanweiserin zurückgebracht. Wir tranken ethisch erzeugtes Wasser für einen guten Zweck und Bier aus Italien. Dann kamen die vier Essen und eines ging zurück, denn meines was nicht das, was ich bestellt hatte. Das kam dann viel später, war gut – wenn auch nicht überragend – und da man davon ausgegangen war, dass ich mich beim Zugucken, wie die anderen aßen, schon satt gesehen habe, war auch nicht besonders viel auf dem Teller. Die anderen waren aber satt und wir zählten weniger als im Imbiss am Tag zuvor.
Um mich satt zu bekommen, bedurfte es noch einiger Erdnüsse in dem anschließend besuchten Pub. Dort befolgten wir die eherne Regeln von Hausboot-Mietern. Nach so vielen Bieren, auf alle Fälle die Toilette aufsuchen und versuchen, auch die aufwändigeren Geschäfte zu verrichten. Ich bin guter Dinge, dass dieses Thema im Laufe des Urlaubs an Wichtigkeit verlieren wird. Im Augenblick sind Toiletten aber ein Prio-1-Thema.
Mit einem originalen Cab ging es dann zurück zum Boot. Da passierte nicht mehr viel. Waschen, ausziehe, Koje.