Irgendwann letzte Woche bekam ich Post von meinem Renten-Dienstleister, der mir mit auf dem Weg gab, was ich denn so kriegen könnte, wenn ich denn zum einen die 67 erreichen tät und rechnete mir auch vor, dass bei gleichem Verdienst und keiner Steigerung, bei zwei- und drei-prozentiger Steigerung der Rentenbeiträge in der letzten Jahre. Ganz ehrlich: Der letzte Betrag gefiel mir am Besten, aber die vielen Wenn und Abers überhaupt nicht. Der Besuch in einer Seniorenwohnanlage trägt nicht unbedingt dazu bei, bei dem Thema in heitere Stimmung zu verfallen.
Meine Tante hatte letzte Woche Geburtstag und wir geben uns immer Mühe, entweder am Tag selbst oder kurz darauf, bei ihr aufzuschlagen. Diesmal klappte es am Sonntag und abgesehen davon, dass man immer Berge von Essen verschlingen muss (»Nun esst mal! Nachher gibt es noch Kuchen!«), mag sie es auch sehr, durch die Stadt zu spazieren und oft landet man dann im Rosenhof, einer Seniorenwohnanlage der gehobenen Kategorie. Ich war da noch in den Neunzigern hin und wieder gegeben. Meine Tante erzählte mir dann, dass sie überlegen würde, sich hier eine Wohnung zu nehmen.
Man kommt rein und steht in einer riesigen Lobby. Vor dreißig Jahren gab es die ja noch nicht, aber heute würde ich sagen, hier könnte man ohne weiteres eine Formel 1 für Rollatoren starten und hätte noch Platz, die Piste mit Rollator-Gummi-Reifen zu sichern. Rechter Hand geht es in die Bibliothek, in der nicht nur bequeme Sessel stehen, in die ich mich hätte reinschmeißen können und einfach einen kleinen Mittagsschlaf hätte halten wollen. Wenn ich erst einmal vor mich hinsabbere und mit meinem leicht ergrauten Haar, ich wäre gar nicht weiter aufgefallen. Ein Computer stand dort auch, aber der war besetzt von einem Herren, der im Google Earth rumsurfte – fast wie zu Hause. Ich erinnerte Susann dran, zu fragen, ob die auch Glasfaser-Anschluss in den Wohnungen haben – andernfalls würde ich mich nicht einmal mit dem Gedanken tragen, in den Rosenhof einzuziehen.
Also die Bilbliothek war von der Räumlichkeit schon mal sehr schön, auch wenn ich bei einem Einzug vermutlich das meiste an den Werken dort ausräumen müsste und die Leitung einiges an Regalen noch hinstellen müsste, um meine Bücher unterzubringen. Das Ehepaar, das jetzt die Pflege und Sortierung vornimmt, hätte viel mehr Arbeit vor sich. Nun sollen keine falschen Erwartungen geweckt werden, und das haben wir der Hausdame auch gleich mit auf den Weg gegeben, die uns Info-Material mitgegeben hat, für uns sind die Erwägungen noch in einer sehr, sehr frühen Phase. Sie war vermutlich der Meinung, wir würden uns für unsere Tante erkundigen und sie vielleicht »unterbringen« wollen.
Nun Tantchen überlegt schon über ein Jahrzehnt und ich muss sagen, ich würde ihr nicht sagen: »Geh da hin, das ist schön.«, so wie die flotte Mittsiebzigerin (vielleicht auch älter), die als Undercover-Sales-Agent meine Tante bezirzte, wie schön es wäre und herrlich und man würde sich kein Tag langweilen. Das ist wohl richtig, aber sie kennt den Tag und Garten meiner Tante nicht. Sie hat einen Park, wir haben einen Wildpark in Mühbrook.
Linker Hand von der Lobby war der Restaurant, in dem es leckere Menüs zum Mittag gab. Ich habe Susann später die Preise vorgelesen, die staatlich gewesen sind. Ein Taschengeld würde wohl noch bleiben, wenn wir dort in ein Zwei-Zimmer-Appartment einziehen würden und wir würden auch das Frühstücks-Abendbrot-Abo noch mit dazunehmen, schon allein wegen der Geselligkeit. Das war ein echtes Schnäppchen, auch wenn Susann dagegen opponierte. Aber das ist wohl klar – von den Kochbüchern kann sie sich trennen.
Ein wenig irritiert war ich, dass man kein Kaffee-Abo mit Kuchen-Buffett mit im Angebot hat. Vielleicht kommt das ja noch, die mittlere Generation heute mag, wie man weiß, ja ganz gern Kuchen. Das wird sie sich sicher auch im Alter erhalten.
Das Veranstaltungsprogramm war ein wenig öde. Aber das mag jetzt aus meiner geradezu jugendlichen Perspektive nur so erscheinen. Aber montags der Hörgeräte-Akustiger und Dienstags der Optiker und Mittwochs … ich lass mich nicht weiter darüber aus. Das Wort »frisch« in einem solchen Kontext zu verwenden, das widerstrebt mir ein wenig, aber es stimmt, dass gerade frisch der Programmpunkt »Spaziergehen mit dem Rollator« aufgenommen wurde. Ich habe ja auch gleich wieder Bilder vor Augen und sehe schon, wie eine Rosenhof-Mädel-Bande von zwanzig Leuten mit ihren Rollatoren die City stürmt. Erinnert mich ein wenig an die alten Damen bei Monty Python.
Abschließend gab es, auf besondere Empfehlung der Hausdame, noch einen Rundgang durch das Atrium. Man sah die älteren Herrschaften (für die Herren als Abwägungsgrund: Es gibt einen massiven Frauenüberschuss und da ich einmal vermute, dass die Damen zwar ein wenig ruhiger werden, aber die wesentlichen Charakterzüge sich nicht ändern, dürfte es auch so manchen Zickenkrieg geben.) auf ihren Balkons im Sonnenstuhl liegen und Mittagsschlaf halten. Ich hätte ja schon in der Bibliothek Bubu machen können, aber hätte mir jemand jetzt einen Liegestuhl hingestellt, ich hätte mich sofort niedergelassen.
Frau S., ich betreute sie während meiner Zivildienst-Zeit, sollte in eine Senioren-Tagesstätte. Mittagessen gab es dort und Unterhaltung wohl auch. »Was soll ich denn da«, meinte sie zu mir, »da sind doch nur alte Leute.« Dann lachte sie mich an, frech, kann man fast schon sagen. Frau S. war zu der Zeit 85 Jahre alt. In einer Jugendbegegnungsstätte, wo sie vom Naturell besser hingepasst hätte, hätte man sie aber vermutlich auch nicht mehr genommen.
Mein Tantchen äußerte sich auch in dieser Richtung: »Das ist was für ältere Leute.« Für jemand, der gerade 79 geworden ist, eine erstaunliche Ansage. Abe schön, wenn man sich selbst noch so sieht.
Ich hoffe und vermute einmal, dass ich im nächsten Jahrzehnt noch ein paar mal in den Rosenhof mit dem Tantchen bin und sie mich jedes Mal fragt, ob sie nicht dahin ziehen soll. »Ach, das hat noch Zeit«, werde ich wohl sagen.