Die Erinnerung fängt schon an sich zu trüben, deshalb hier ein kleiner Abriss dessen, was in die Hahnsche Familiengeschichte als »Der denkwürdige Montag« eingehen wird. Eine Geschichte in drei Akten, deren Konsequenzen hier schon vorab verraten werden sollen: Die USA-Reise wird verschoben und ich tippe nur noch mit einer Hand.
Montag, der 17. war ein freundlicher teilweise sehr sonniger Tag, der erfreuliche Tendenzen hatte. Der Tag war so spannend, dass ich gar die Lust verspürte, länger arbeiten zu wollen, da es so spannend war und ich gern noch weiter rumgespielt hätte. Aber die große Reise stand vor der Tür und daraus ergaben sich einige Pflichten, die der Erledigung harrten. Darunter der Punkt »neue Übergangsjacke kaufen« und »Tollwut-Spritze für George«. Beides keine günstigen Vergnügen, aber der letzte Punkt wurde von mir eindeutig favorisiert, nichts ist schlimmer als das ewige Anprobieren.
Was für ein Irrtum…
1. Akt
Bevor ich die Firma verließ, rief ich Susann an, und bat sie dem Kater den Ruhigsteller zu geben. Bei unserem Kater sicher eine dufte Idee, denn er ist ungestümer Natur. Als ich dreißig Minuten später zu Hause eintraf, war der Kater noch putzmunter. Seine Spritztour war aber bestens vorbereitet: Leckerli und Käfig standen bereit, der Trick vom letzten Mal – Leckerli in Käfig werfen, Kater verschwinden sehen, dann Türe zu – sollte nicht funktionieren. Da war wohl etwas mehr Nachdruck erforderlich.
Ein beliebtes Spielchen zwischen uns ist, dass ich hinter ihm hintergehe, wo immer auch geht. Schlussendlich lässt er sich meist theatralisch mit einem lauten Katzenseufzer fallen und ich kann ihn streicheln, hochnehmen, was auch immer. Dieses »Ich habe aufgegeben« -Spielchen spielten wir auch Montag. Ich folgte ihm auf Schritt und Tritt, er ließ sich fallen, ich hob ihn hoch und brachte ihn zum Käfig stopfte ihn rein… Da muss er sich gedacht haben, dass eine solche Regeländerung nicht in seinem Sinne ist, fing an Krach zu schlagen, warf sich gegen die Katzenkäfig-Tür, war draußen und ich war genervt. Da es so schön war, wiederholten wir das Spiel. Mit gleichem Ende.
Der Käfig wurde gewechselt, was aber egal war, da George gar nicht mehr daran dachte, sich hinzuwerfen. Statt dessen zeigte er seine makellosen Zähne, während er mich anfauchte, um dann den nächsten Schützengraben aufzusuchen. Von Müdigkeit war bei ihm nichts zu merken, bei mir schon eher. Sein Temperament kennend, war ich mittlerweile mit Handschuhen geschützt. Die Sitten wurden als rauer. Eine Reihe von Möbeln standen schon nicht mehr so, wie sie sollten.
Ein Blick auf die Uhr machten mir deutlich, dass ich zwischen einem Kater stand, bei dem die Beruhigungstablette nicht wirkte, und einer Uhr, die mir sagte, dass die Tierärztin bald ihre Praxis schloss. So spielten wir das »Räuber und Gendarm«, wobei der Räuber sich mit Vorliebe hinter einen Sessel verzog, hinter dem ich ihn super sehen konnte, allerdings an ein Greifen nicht zu denken war. Irgendwann bekam ich meine Chance. Er kapitulierte, ließ sich ohne Widerstand festnehmen und kam in einen Käfig, der ein wenig zu klein war, dafür aber für mich gut zu handhaben war. Auf dem Weg zum Auto bekam ich noch ein paar klagende Laute zu hören, dann war Ruhe und ich war guter Hoffnung, dass die Beruhigungsmittel nach mittlerweile 90 Minuten zu wirken begannen.
2. Akt
Was für ein liebes Tier, im Wartezimmer war kein Mucks von ihm zu hören. Ich hatte mich spontan entschieden zu einer Tierärztin in Nortorf zu fahren, da ich es zu unserer Stammtierärztin nicht mehr geschafft hätte. So stellte ich George als Wildfang mit Problemen vor und die Tierärztin schätzte ihn auch gleich als stilles, aber tiefes Wasser ein und ließ sich einen kleinen Käfig bringen. Der Plan war folgender: Ich sollte den Kater herausheben, auf dem Behandlungstisch absetzen und sie würde dann diesen kleinen Käfig, der unten offen war, durch den sich aber dufte Spritzen ließ, über den Kater stülpen.
Ich zog meine Handschuh an, der Käfig, in dem George saß, wurde geöffnet, ich fasste zu und … ja, was dann kam, damit hatte ich nicht gerechnet. Er ließ sich gar nicht erst absetzen und irgendetwas über sich rüberstülpen, sondern wand sich im Angesicht fremder Personen und einer fremden Umgebung aus meinen Händen, so denke ich mal, war es, um sich eine Ecke zu suchen, die Ecke, in der die Ablagefläche und das Waschbecken war, und begann die Wand aufzusteigen. Ein eindrucksvolles Bild, welches aber durch die Tatsache, dass es keinen Ausweg gab, zum Scheitern verurteilt war. Sprichwörtlich gesprochen ging dabei auch eine Menge Porzellan kaputt. Da der schwarze Puma in der einen Ecke nicht so erfolgreich war, versuchte er es in den anderen drei Ecken ebenfalls. Die Tierärztin kommentierte nur: »Nicht schon wieder!« »Sie kennen das?« »Oh ja, das kommt vor. Dummerweise muss ich danach immer wieder renovieren.« Er versuchte sich auch an einer Jalousie und es war erstaunlich, wie wenig die aushielt. Ich fügte sie auf die Rechnung.
Der Boden sah mittlerweile aus wie ein Schlachtfeld, man musste aufpassen, wo man hintrat, und der Kater saß in seiner Lieblingsecke, das Gesäß zu uns, irgendwie ungünstig für ihn und ungünstig für uns. An Anfassen war nicht zu denken, einen Käfig konnte man auch nicht über ihn stülpen. Der Versuch ihn mit dem Besen aus der Ecke zu bekommen scheiterte, da der Kater wusste was er nicht wollte (egal, alles wollte) und wir keinen Plan hatten.
Mittlerweile hatten wir einen Käfig installiert, so einen, wo die Öffnung auch oben ist, der aber sicher wie Fort Knox ist. Wir warteten auf die nächste Runde und hatten den Käfig schon geöffnet. Davon ausgehend, dass er uns nicht den Gefallen tun würde, freiwillig in diesen Käfig zu gehen, war unser Plan, ihn da irgendwie hineinzubugsieren. Vor dem Besuch hätte ich gesagt, dass machen wir so und so, aber zu dem Zeitpunkt war mir jedwede Fantasie abhanden gekommen.
Die neue Runde begann, denn auf den Besen reagierte er sehr allergisch. Die Jalousien waren oben, was bei der einen aber egal war, kaputt waren sie ja schon, aber die andere konnte vielleicht gerettet werden. Dann hing der Kater über der Tür. Was für eine Gelegenheit! Runter wollte er nicht, hoch konnte er nicht – er brauchte nur noch abgepflückt zu werden. Geschützt durch meine Handschuhe nahm ich ihn und wollte ihn herunterheben. Er hält sich fest wie nichts, faucht wie ein Wilder, der er ja ist, und als er merkt, dass ich es ernst meine, taucht er mit seinem Kopf zwischen seinen Vorderbeinen durch und beißt mich.
Abgesehen davon, dass er auf diese artistische Leistung stolz sein konnte, gebracht hatte es ihm nichts. Er war in der Luft, Strampelte wie wild, ich musste ihn sogar einmal loslassen, aber jetzt entkam er mir nicht mehr, denn das Thema wollte ich beendet wissen, so dass ich wieder zugriff, er wieder zubiss, ich aber nicht locker ließ und er schließlich im Käfig landete. Deckel zu! Kater wütend und außer sich. Herrchen ebenso.
Wahrscheinlich hätte ich das Recht gehabt, mir so vorzukommen wie Bruce Willis, denn ein Blick auf die Handschuhe zeigte, dass George eine Reihe von Treffern gelandet hatten, die sich so langsam rot färbten, »Gebissen?« »Aber ja?« Die Tierärztin holte Desinfektionsmittel und eine Salbe und reinigte meine Wunden. »Soll ich damit noch mal zum Arzt?« »Nicht nur zum Arzt, sondern in die Klinik. Nicht abwimmeln lassen! Das ist gefährlich.« Das Katzenbisse gefährlich sind, hatte ich schon mal gehört, wie gefährlich machte mir Tierärztin deutlich: Das entzündet sich unbehandelt in Nullkommanix und man hat jede Menge Ärger mit seiner Hand. Es hat schon was Komisches, von einer Veterinärin verbunden zu werden, während neben einem der Kater sitzt, wenn auch im Käfig, und rummauzt und zuschaut. Aber er war nicht besonders gut gelaunt, und die Tierärztin war auch nicht gut auf ihn zu sprechen. Die Praxishelferin fasste es zusammen: »Kein guter Einstand! Der kriegt ‘n roten Punkt in die Akte!«
Wirklich kein guter Einstand.
Diese Katzenkäfige von der Tierärztin haben zwei Kammern. Und mit einem Schieber konnte dann der Raum von George immer weiter verkleinert werden. So wurde er eingezwängt konnte sich nicht mehr bewegen, fauchte und knurrte so bedrohlich, wie er konnte, aber der Tag war sowieso verdorben, da kam es nun auf die beiden Spritzen auch nicht mehr an. Was er anders sah, aber nicht ändern konnte.
Die Leute im Wartezimmer mussten warten: »Es dauert noch ein bisschen. Wir müssen hier erst die Verwüstung beseitigen.«
So fuhr ich mit zwei Käfigen nach Hause, an der rechten Hand verbunden und mit dem Vorsatz, danach glecih nach Kiel aufzubrechen.
3. Akt
Susann kam kurz nach mir, sie war beim Einkaufen gewesen, und ich hatte nur kurz ein paar Möbel gerade gerückt. Der Kater saß noch in seinem Käfig. »Was machst du denn da?«, wurde er gefragt, gab aber keine Antwort. »Ich lass ihn gleich raus! Aber dann muss ich ins Krankenhaus.« Ein Wort, was unweigerlich Panik auslöst. »Du? Warum?« Ich zeigte meine Hand. »Wie ist das passiert?« »Der Kater.«
Wir machten uns auf den Weg und beratschlagten unterwegs nach Kiel, wo wir denn hinwollten. In der Uni-Klinik hatte ich ganz gute Erfahrungen gemacht. Es ging ein wenig hin und her und schließlich meinte Susann: »Wir fahren zur Uni, zu der Ambulanz, wo Papa auch starb.« In solchen Momenten möchte man so genaue Beschreibungen eigentlich nicht hören. Gut, dass sie nicht sagte: »… wo auch Papa starb.« Das wäre zuviel gewesen.
Als Fahrerin eines Rettungswagen wäre Susann nicht geeignet: Wir fuhren auf der Autobahn hinter einem Laster mit Campingwagen hinterher, mit 90. Vielleicht war das psychologisch auch wertvoll, und sie wollte durch zu hohe Geschwindigkeit nicht zusätzliche Panik aufkommen lassen.
In der Ambulanz wurde der Verband aufgeschnitten. Ich durfte mir dann eine kleine Standpauke zum Thema Blutdruck anhören, der nicht so hoch sein müsse/dürfte (Hallo? Katze hinterhergejagt? Katze verwüstet Behandlungszimmer? Man wird gebissen? Dann ist man ins Krankenhaus und bangt um seine Hand?). Meine Hand badete in einer Desinfektionslösung und dann kam der Doktor, um sich das anzuschauen, erkundigte sich nach dem Hergang der Tat und verkündete dann:
»Das werden wir aufschneiden, und um die Wunde herum das Fleisch wegschneiden. Dann kommt ein Verband rum und es wird geschient.«
»Wie lange braucht das denn?« fragte ich.
»Solange es braucht«, war die ehrlich gemeinte aber nicht sehr hilfreiche Antwort des Arztes.
»Mein Mann arbeitet mit Computern und muss am Sonntag in die USA«, meinte Susann, wohl an einer detaillierteren Antwort interessiert.
»Tja, dann hat sich das wohl erst einmal auscomputert«, war die Antwort.
Betroffen war der Mittelfinger und der kleine Finger der rechten Hand. Positiv gesehen waren also 60% der Hand unbeschädigt. Ich war mit meinen Gedanken immer noch bei den Löchern, die mir an die Oberseiten meiner beiden Finger geschnitten werden sollten. Die Krater vor Augen wurde mir langsam unwohl. Es gab eine örtliche Betäubung, die ich nicht so wirksam empfand, aber das war wohl auch die Psyche, und dann wurde alles eingewickelt und ich bekam eine Schiene.
So, das war Montag gewesen. Ein denkwürdiger Montag.