Wenn ich das französische Pendant zu Heinrich Steinfest suchen würden, dann wäre das Fred Vargas. So mich nicht alles täuscht, so war aber Fred Vargas zuerst da und auch zuerst erfolgreich. Das sei ihr, ja eine Frau! (immer noch), ungenommen. Hat man erst einmal alles gelesen, so muss man ja für ja warten, um ein neues Buch der Französin zu lese. Was ich ehrlich bedaure. Aber es hat sich bei mir die Erkenntnis durchgesetzt, dass es ratsam ist, das Werk noch einmal zu lesen. Ich hatte schon erhebliche Lücken, was das die Handlung in ihrem letzten Roman »Der vierzehnte Stein« anging. Vielleicht auch ein Altersproblem…
Mit dabei Kommissar Adamsberg, auch in diesem Roman wieder in einer Hauptrolle. Das ist gut, und andererseits auch wieder nicht. In früheren Romanen hatte Fred Vargas so reizende Gesellen wie die Historiker-Clique eingeführt, die so herrlich schräg waren, dass es einfach herrlich gewesen war zu lesen. Adamsberg kennen wir ja mittlerweile fast so gut wie Kommissar Maigret. Der Kommissar wirkt ständig abwesend, kann kaum einen Gedanken gerade aus zu seinen Mitarbeitern transportieren. (Eine Fähigkeit, die übrigens vielen Vorgesetzen abhanden gekommen ist. Oder war sie nie da?) Ewig war (und ist) er damit beschäftigt, seiner Dauer-Freundin nachzurennen, die mittlerweile sogar ein Kind von ihm hat. Aber von Heirat keine Spur. Der Zug, meint er an einer Stelle, wäre zuhäufig im Bahnhof gewesen und ohne ihn abgefahren.
Das Wort Methode würde beleidigt werden, würde man von einer Ermittlungsmethode sprechen. Mehr noch als der berühmte Kommissar Maigret trifft auf Adamsberg zu, dass er keine Methode hat. Er lässt sich auf die Geschichte ein, es scheint, als würde er auf einer anderen Ebene zuhören und so aus den Untertönen, dem Nichtgesagten, das Geheimnis herausfiltern. So wundert es nicht, dass ein Besuch in der Normandie, der wie ein Zufall wirkt, zu einer entscheidenden Stelle in den Ermittlungen wird, in der es um den Tod von zwei jungen Männern geht, die mit durchgeschnittenen Hälsen aufgefunden wurden.
Spuren gibt es nicht viele und anfangs hat Adamsberg sehr, sehr viel Mühe, den Fall in seinen Händen zu halten. Das Drogendezernat hat jede Menge Interesse, diesen Fall in ihre Obhut zu nehmen. Aber Adamsberg sieht den merkwürdigen Fall dahinter und macht sich daran, das Geflecht zu entwirren. Schwierig genug. Aber da kommen noch ein paar Pünktchen hinzu: Da wäre der Neue. Der ja gar nicht so neu ist. Er wurde nur von Adamsberg nicht bemerkt. So fristete er sein Dasein damit Camille, die Freundin Adamsberg, zu observieren, die aus einem früheren Fall noch bedroht wird. Veyrenc, dessen kompletter Name hier nicht genannt werden wird, war ein schöner Mann, der sich in Gedichten ausdrückt, die er on-the-fly entwickelte – eine Familienangewohntheit. Er stammte aus dem Nachbartal und schon bald stellt sich heraus, dass er nicht einfach so in der Brigade von Adamsberg gelandet war. Er hatte darum nachgesucht. Denn er hatte eine Rechnung offen, eine Rechnung die nur ihn und Adamsberg betraf.
Es dauerte schon eine Weile bis Adamsberg dahinterkam, was sich hinter der Geschichte verbirgt und er erkennt auch die Gefahr, die von dem neuen Mitarbeiter ausgeht. Ich will die Spannung aber nicht nehmen und deshalb nicht mehr verraten.
Natürlich bietet Fred Vargas eine Auflösung, die hat jeder Krimileser verdient. Man kann sie nicht nachvollziehen. Aber bei einem Buch von Fred Vagas ist das nicht das Wichtigste. Es geht gar nicht so um das Ende, sondern der Weg ist das Ziel. Der Weg, und da wird jeder Leser zustimmen, ist nicht mühsam zu bestreiten und er macht jede Menge Spaß. Den Büchern von Fred Vargas wohnt eine Menge Fantasie und Humor inne. Komische und krude Dialoge. Im Gegensatz zu Heinrich Steinfest wirken die Dialoge aber aus dieser Welt, wobei ich nicht beurteilen kann, inwieweit das im Original auch so ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass eine Übersetzerin (oder ein Übersetzer), der gefordert ist, Heinrich Steinfest in das Französische zu übertragen, ordentlich zu kämpfen hat.
So, jetzt heißt es wieder ein Jahr warten. Mindestens.