Vorgestern gab es einen magischen Augenblick höherer Erkenntnis, der mich kurz darauf in tiefe Verwirrung stieß. Ich schaute auf den Bildschirm des Navi und las, dass ich in 0,4 Meilen abzubiegen hätte. Der Herr aus dem Navi teilte mir im gleichen Augenblick mit, dass ich in 600 Yards abzubiegen hätte. Ich stutzte: 1000 Yard waren nicht eine Meile? Ich teilte meine bahnbrechende Entdeckung Ulf mit, der ebenfalls verblüfft war. Was ist denn das für ein Blödsinn, fragten wir uns.
Susanne hatte dafür eine Erklärung parat, da sie die Einheiten auswendig gelernt hatte. Zumindest wusste sie, dass ein Yard weniger als ein Meter ist. Das war das, was uns fehlte, denn dass eine Meile mehr als ein Kilometer ist, dass hatten wir durchaus schon mitbekommen.
Die Maßeinheiten bringen einen wirklich zur Weißglut: Wir irrten gestern durch einen Ort namens Marazion, von dem man aus St. Michael’s Mount gut betrachten kann. Das war aber nicht unser Ziel, wir wollten ja nach Land’s End. Wir akzeptierten, dass es keine Möglichkeit geben würde, die Insel von einem guten Aussichtspunkt billig zu fotografieren und wollten die Stadt verlassen. Das Navigationsgerät ist bei der Auswahl der Wege schmerzfrei und lotste uns in eine Gasse, deren Eingang von einem Schild geziert wurde, dass die maximale Breite 7″ betragen würde. Super! Wir sinnierten einen Bruchteil einer Sekunde, ob unser Auto dieses Kriterium erfüllen könnte, verwarfen den Gedanken aber und fragten uns, was 7″ denn wirklich wäre. (Im Bett liegend lässt sich schnell recherchieren, dass es 7″ wohl der Einheit „Fuß“ entspricht und umgerechnet 2,13 Meter sind. Die Breite des Wagens beträgt, vermutlich ohne Seitenspiegel, 18,1 Dezimeter also 5,93832021 Fuß (anders ausgedrückt 5 Fuß 11 17/64 Inch und damit haben wir gelernt, dass 1 Fuß 12 Inches (bei uns auch gern Zoll genannt) sind). Somit hätten wir wohl durch die Straße gepasst, ein Spaß wäre es aber nicht geworden.) Da wir durch diese Gasse nicht passten, eine andere Gasse für uns nicht passierbar war, da sie besetzt war, kamen wir an einem Punkt vorbei, von dem man aus, billig und umsonst fotografieren kann. Glück hilft immer im Leben.
Zurück zu den Meilen, um das zu verankern: Eine Meile sind 1760 Yard oder 1609,344 Meter. Wir man es nimmt – in beiden Fällen kommen wunderbar krumme Werte rum. Ich denke, wir sollten uns beim Einheiten-Umrechnen in Deutschland nicht weiter beschweren und wünschen den Nutzern des US- bzw. imperialen Systems weiterhin viel Spaß mit dem ihren. Den scheinen sie ja zu haben.
Gestern hatte ich es schon darüber geschrieben, heute tue ich es noch einmal: Das Verhalten von Touristen ist merkwürdig. Auch am gestrigen Tag fuhren wir zu einem Touristenziel der Kategorie I – es waren viele Menschen zu erwarten. Uns gelang das nicht auf geradem Wege. Das lag daran, dass uns das Navigationssystem auf die A30 in Cornwall lotste und das ist offenbar nicht jeden Tag eine gute Entscheidung. Wir standen sowohl auf der Hinfahrt in einem formidablen Stau wie auch auf dem Rückweg. Auf dem Hinweg hielten wir es nicht aus, und machten uns auf in Richtung Truro zu fahren. Dort berieten wir erst einmal, wie es weitergehen sollte. Bei Blaubeeren und Mangosticks, einer Kaffee Tasse und Orangensaft wurden ernsthaft Alternativen erwogen, denn das ursprüngliche Ziel Land’s End schien in weite Ferne zu rücken bei dem Verkehr, der uns im Weg stand. Man erfüllte mir aber den Wunsch, durchzuhalten, wofür ich auch sehr dankbar war. Ich bekenne mich dazu: Land’s End war meine fixe Idee, ich bin schuld. Mir hätte es schon ein wenig weh getan, wenn wir es gelassen hätte – denn der Glaube, dann etwas verpasst zu haben, der drückt dann schon ein wenig.
Wir wählten einen Alternativ-Weg, der über die A39/A394 führen sollte und einige Höhepunkte aufwies. Dazu gehört ohne Zweifel der erwähnte St. Michaels Mount, aber auch Ausblicke auf das Wasser. Ein Höhepunkt war ganz gewiss die Kurve in einem der kleinen Dörfer, in dem uns ein Traktor in einer Kurve entgegen kam, dessen Fahrer mit dem Teil seines Gefährts, das hinter ihm lag, mehr beschäftigt war, als mit dem vorderen Teil seines Fahrzeugs und uns. Es ist eine unerträgliche Spannung, wenn man sich fragt, ob er uns irgendwann noch mal wahrnehmen wird. Bevor wir anfangen konnten zu schreien, riskierte er dann doch noch einen Blick nach vorn und unser kleiner Škoda wurde nicht von riesigen Traktoren-Rädern überrollt.
Nun will ich aber nicht ungerecht sein. Ich habe sicher auch für eine Herzattacke bei einem Engländer gesorgt, als wir gestern unterwegs waren. Völlig unbelastet war ich in eine der sinnlosesten Erfindungen der Engländer gefahren: den doppelten Kreisverkehr. Eigentlich sollte der Sinn des Kreisverkehrs sein, den Verkehr zu vereinfachen. Das ist ihnen mit dem doppelten Kreisverkehr aber komplett misslungen, denn ich muss mich im Kreisverkehr plötzlich wieder mit Vorfahrtsregeln beschäftigen. Diesen Gedanken hatte ich noch nicht verinnerlicht, als ich erst einmal im Kreisverkehr war. Ich sah den Blick des Fahrers als ich ihm forsch die Vorfahrt nahm und kam gerade noch zum Stillstand.
Das bringt mich zu einem anderen Punkt, der mir beim Fahren auffiel. Der Fahrer, dem ich die Vorfahrt nahm, reagierte gelassen und nutzte nicht die Gelegenheit, die Funktionstüchtigkeit seiner Hupe zu prüfen. Gewiss, er hat mir nicht freundlich zugelächelt und zugewunken, aber er beschimpfte mich auch nicht. Es läuft alles sehr, sehr zivilisiert ab – das ist zumindest mein Eindruck. Vielleicht haben die Engländer auch gar keine Zeit, unhöflich zu sein, weil sie im Kopf ständig Meilen in Yards umrechnen müssen und umkehrt. Fährt man durch enge Straßen und Gassen, was nun wirklich keine Seltenheit ist, dann bedanken sie sich, wenn man sie vorbeilässt. Sie bedanken sich auch dafür, dass man sie durchgelassen hat, wenn sie Vorfahrt hatten. Völlig ungewöhnlich ist, dass ein Autofahrer auf einer Hauptstraße anhält, um einen anderen Wagen von einer nachgeordneten Straße, die Vorfahr zu gewähren hat, hineinlässt. Ganz ohne Not! Einfach so. Mir ist das ein paar Mal aufgefallen und ich war völlig perplex. Ich halte mich für einen verhältnismäßig höflichen Autofahrer, aber auf die Idee würde ich nie kommen. Schließlich habe ich Verkehr hinter mir, den ich damit aufhalten könnte (wodurch sich, da bin ich mir sehr sicher, irgendjemand hinter mir provoziert fühlen könnte und dieses akustisch auch zum Ausdruck bringen wird).
Wir kamen auf abenteuerlichen Wegen in Land’s End an. Dieser Ort markiert das westlichste Ende von England und zieht man eine gerade Linie von diesem Ort in die weite Welt, dann verfehlt man knapp Spanien und landet irgendwo in Südamerika. Ein schöner Gedanke. Dieses westliche Ende hat eine gewisse Anziehungskraft und deshalb gibt es nicht nur einen Parkplatz, sondern auch Ausweichparkplätze. Auf einem solchen stellten wir unseren Wagen für 6 Pfund ab und machten uns auf dem Weg zu diesem Punkt. An einem großen Gebäude, das ein Restaurant, Hotel und Vergnügungscenter war, spielte Musik und es gab noch andere Attraktion. Begab man sich von diesem Gebäude nach rechts, kam man zu einem anderen Gebäude, an dem man käuflich auch Essbares erwerben konnte. Himmel und Menschen, so heißt es doch so schön.
Ich stand da und dachte: Sind wir soweit gefahren für so was? Werde ich auf der Rückfahrt mit ehemaligen Freunden im Auto sitzen? Die Landschaft war ganz okay, aber so richtig kam man an die Klippen nicht heran. Es war alles abgesperrt. Bäh!
Die anderen Drei wollten Teile des Kaffees vom Frühstück wegbringen, weshalb wir wieder zurück zu den Hauptgebäuden gingen. Ich blieb draußen und ging weiter nach links. Plötzlich hörte man keine Menschen mehr, es war kaum einer da. Die Atmosphäre war wie verwandelt. Schaute man in die Ferne, sah man ein paar Leute auf den Klippen herumkraxeln, an denen es keine Begrenzung gab. Es war also wie überall in England – entfernte man sich von dem Spot nur ein wenig, dann hatte man seine Ruhe. Ich finde das sehr sympathisch und angenehm.
So machten wir noch einen kurzen Spaziergang – wobei wir nachher auch wieder zwei Stunden dort gewesen waren, die Zeit vergeht ja immer im Fluge.
Die Rücktour führte uns über die A30 und die entsprechenden Staus. Das machte wirklich kein Spaß. Nach dem Snack bei der Mittagsberatung hatten wir nichts ernsthaftes mehr gehabt, deshalb stellte sich das Bedürfnis nach Essen ein. Wir versuchten einen Tisch bei unserem Lieblings-Fischrestaurant in Polperro zu bekommen (über dessen Aussprache wir gestern Morgen unsere einheimische Wirtin befragten, die aber meinte, man könne es Englisch aussprechen oder Spanisch – man würde beides verstehen und sich anschließend für ihre Diplomatie lobte), aber nach anfänglicher Zusage bekamen wir dann doch keinen Tisch, da sich die Bedienung geirrt hatte.
Mir war die letzen Tage auf den Heimfahrten nach Polperro ein Restaurant aufgefallen, dass auf seinem Schild mit „Good Food“ warb und dessen Parkplatz voll war. Eigentlich ist das ein vielversprechendes Zeichen. Ich meine den Parkplatz. Wir fanden noch einen Platz auf dem Parkplatz des „The Jubilee Inn“ in Pelynt. Ein schöner Land-Pub, der uns eine neue Variante des Bestellens nahebrachte. Getränke mussten wir am Tresen bestellen und abholen, die Essenbestellung wurde am Tisch aufgenommen. Das Essen war wirklich reichlich und überdies auch noch noch gewürzt, was bei Pub-Food bekanntlich eine Seltenheit ist. Die Bedienung war freundlich und schnell, auch wenn der Kellner mit unserer Vorspeise an den Tisch kam, verwirrt war, und mit dieser wieder verschwand. Wir bekamen sie aber doch noch. Voll des Lobes war Susanne über Tomatensuppe.
Im strömenden Regen und bei Dunkelheit kamen wir in Polperro an. Nun heißt es packen und dann geht es über Dartmoor in Richtung Norden. Die nächste Station ist ein Hotel. Ich glaube, ich könnte nach vierzehn Tagen mal eine Badewanne vertragen.