An einem August-Tag vor langer, langer Zeit setzte sich ein schmächtiges Kerlchen in Potsdam in den Zug und fuhr in Richtung Norden. An seiner Seite die Mutter, die nicht gewillt war, den Jungen allein ziehen zu lassen und den Gedanken, dass der Junge viele, viele Kilometer von zu Haus entfernt, und dann noch im westlichen Teil des Nordens, sein Glück suchte, so gar nicht toll fand. Es war der 30. August 1990. Der Junge, unschwer zu erraten, war ich.

Sommer ’90

Die Zuversicht dieses Sommers, zahlte sich vollendest aus: Schließlich hatte ich zu Mai meine „gute“ Stelle bei der „Märkischen“ gekündigt. Mir war eine Stelle bei einem Handwerker angeboten worden – aber so richtig fest war das nicht. Der Herr Papa war völlig fassungslos gewesen, dass ich für diese vage Aussicht einen Wechsel vorgenommen hatte. Wie so oft hatte er recht, denn natürlich wurde es erst einmal nichts, da dem Handwerker K. die notwendigen Kredite nicht bewilligt wurden. 

So lungerte ich zu Hause rum. Klar, dass dem Papa das nicht gefiel. Als es dann nach Wochen doch etwas wurde, stellte es sich heraus, dass Siebdrucker recht wenig Ahnung vom Satzgeschäft hatten – und Setzer nicht viel vom Siebdruck wussten. Zumindest war es so in unserer Konstellation so. So richtig kamen wir einfach nicht zueinander. 

Die täglichen Reibereien ließen sich aushalten, denn ich hatte mich nicht fest an ihn gebunden und von Anfang an gesagt: „Wenn ich eine andere Stelle finde, dann bin ich weg.“

Ich wollte wohl wirklich weg aus Potsdam. Deshalb hatte ich in dem Sommer fleißig Bewerbungen geschrieben, aber nur wenig Bewerbungsgespräche geführt. Die meisten Angebote gab es aus Süddeutschland, aber dahin wollte ich nach einem Bewerbungsausflug mit einem meiner damaligen Kollegen nicht mehr. Mir schwante, dass ich mit dem Dialekt Probleme bekommen könnte. Als Ironie der Geschichte kann man betrachten, dass ich seit dem in den südlichen Gefilden wirklich sehr viel Zeit verbracht habe.

Aber das Job-Angebot aus Kiel, das hörte sich so unglaublich toll an. Vielleicht habe ich da mehr Kraft hinein gesteckt und mehr dran geglaubt. Ich wurde im Juli eingeladen und kam voller Optimismus wieder. Es war ja nicht viel und ich war kein Bewerbungsprofi. Es waren nur wenige Worte gewesen, die mich glauben ließen, dass ich bald in Kiel wäre. Der Gruppenleiter hatte mich mit den Worten: „Bis zum nächsten Mal verabschiedet.“ Wie sollte es da nichts werden?

Ich saß also eines Tages im August auf der Couch im elterlichen Wohnzimmer und erzählte meiner Frau Mama, wie ich mir die Zukunft vorstellen würde.

„Sei nicht so optimistisch.“

„Doch! Das wird was!“

Ein „Naja“ kam wohl noch hinterher. Ich war ganz fest überzeugt, dass das was werden würde.

Ironie hat einen hohen Stellwert in meinem Leben. So schätze ich die Tatsache, dass der Job, den ich wirklich bekommen sollte, letztlich durch den Siebdruck-Meister zustande kam. Denn er hatte mir Fachzeitschriften in die Hand gegeben, damit ich mich weiterbilde. Das habe ich getan und auch die Job-Angebote ausgewertet. Wenn man so will, hat er mir den Job beschafft. Ironie halt. 

Drüben

Zwischen Zusage und Arbeitsbeginn lägen keine vier Wochen. Wir kamen an einem Freitag, dem 31. August, – auf den Tag genau vor 25 Jahren – in Kiel an. Schleppten uns nach der langen, nächtlichen Zugfahrt müde ins Hotel. Dort sollte ich die nächsten Wochen verbringen. Was für ein Leben. Von einem Leben in Hotels hatte ich immer geträumt. Nun hatte ich es.

An dem Freitag eröffneten wir noch ein Giro-Konto bei der Volksbank, womit ich auch seit fünfundzwanzig Jahren Kunde bei der Kieler Volksbank bin. Am Nachmittag wollte ich noch zur neuen Firma und mich erkundigen, ob ich etwas mitzubringen hätte an meinem ersten Arbeitstag. Süss, nicht? Frau Mama wollte auch mit, das war mir doch ein wenig peinlich. Aber Frau Mama und der Herr Gruppenleiter fanden sich ganz reizend, und zumindest die Frau Mama sprach davon immer mal wieder. Der Herr Gruppenleiter hatte den Takt, dies nie wieder zu erwähnen. Die Frau Mama fuhr am Nachmittag wieder nach Haus und ließ mich zurück.

Allein im Westen.

Nachsatz

Was aus meinem damaligen Kollegen bei der „Märkischen“ geworden ist, weiß ich nicht. Gesichter sind mir noch vor Augen, Namen nur in Ausnahmefällen. Der Siebdrucker gab das Geschäft an seinen Sohn und der ist heute noch ohne Siebdruck aktiv. Ich bin immer noch in der Nähe von Kiel: Während sich meine Firma mit Urkunde und Gutschein gemeldet hat, hat sich die Kieler Volksbank noch nicht gemeldet. Das Hotel, in dem ich die ersten Wochen verbrachte ist nun vier Häuser von meinem Büro entfernt und ich sehe die Rückfront des Hotels von meinem Schreibtisch.