Der Katzen-Disclaimer: Zwei Sachen vorneweg
Als Besitzer von drei Katzen, von denen zwei Exemplare Teilzeit-Freigänger sind, ist eine meiner größten Sorgen, dass sie mal unachtsam an der Straße sind. Überfahrene Katzen gehören zwar zum Straßenbild wie überfahrene Igel und Hasen. In einer motorisierten Welt ist das der Beifang, ein Kollateralschaden. Als Sklave von drei Katzen stimmt mich diese Erkenntnis aber bei allem Pragmatismus nicht viel ruhiger.
Bei uns fährt hin und wieder mal ein Auto. So kann man das wohl sagen, wenn alle zwei, drei Minuten ein Auto vorbeikommt. Würde ich an einer vielbefahrenen Straße wohnen, wüsste ich nicht, ob meine Katzen Freigänger wären. Sehr wahrscheinlich nicht. Natürlich gibt es die Fölke, wo ein Streuner sich ein neues Zuhause sucht und dann seine Gewohnheiten beibehält. Da hat man als Diener der Katzen dann geringe Chancen, dass Verhalten zu ändern.
Jetzt die Geschichte
Genug der Vorrede: Heute morgen durchfuhr mich ein merkwürdiger Gedanke, als an mir ein Rettungswagen vorbeifuhr. Mit jedem Einsatz, den diese Menschen fahren, wissen nie, dass ein heftiges Problem aus sie wartet und sie kämpfen müssen. Dass sie irgendwo ankommen und man ihnen sagt „Danke, das hat sie erledigt.“ Dürfte eher selten vorkommen. Und so dachte ich mir, dass bei allen Problemen, die man bei der Arbeit so hat, diese doch Kasperletheater sind.
Auf der Hamburger Chausee stadteinwärts ging es heute wieder sehr zähflüssig voran. Hinter der Shell-Tankstelle bei EDUR kommt noch eine Werkstatt, dann folgt eine kleine Kreuzung und dann kommt die Ampel. Vor der Ampel staut sich der Verkehr noch ein bisschen mehr. Mitten auf der Straße lag heute morgen eine schwarz-weiße Katze zusammen gerollt. Die Leute nahmen die rechts liegende Auffahrt um daran vorbei zu fahren. Schrittgeschwindigkeit.
Ich habe einen Kollegen, der mir von der Marotte seiner Katze erzählt hatte, sich auf die Straße zu legen. Einfach so. Am Ende war sie tot. An diese Kollegen-Katze dachte ich heute Morgen und lächelte, da sie was Komisches hatte, und ich kurzfristig die Hoffnung hatte, ein besonders dreistes Exemplar kennenzulernen. Warf im Vorbeifahren einen Blick auf die Katze und sah, dass sie nicht nur da lag und ruhte oder einfach tot war. Sie atmete heftig, was nie gut ist, und war blutverschmiert.
Warnblinker an, ausgestiegen, das Tier aufgehoben und von der Straße gebracht. Bei aller Liebe für die anderen gestressten Verkehrsteilnehmer: Ist das nicht das Mindeste, was man tun kann? Oder hat sich ein jeder gedacht: Da kommt schon einer, der fährt noch mal richtig rüber und das Thema ist erledigt?
Eine junge Frau und ein junger Mann aus der an der Kreuzung liegenden Werkstatt hatten schon mal geschaut und ihre Telefone gezückt. Der Mann holte auch eine Decke, mit der wir die Katze abdeckten und später drauflegten. Die Katze spuckte Blut und schüttelte sich, so dass ich schon mal eingesaut war. Ich hatte Susann angerufen und gefragt, ob sie herausfinden kann, welcher Tierarzt in der Nähe ist. Aber dann meinte die Frau, sie hätte die Nummer von einem Notruf. Ich konnte kaum die Tasten auf dem Telefon richtig treffen, als ich die Nummer von dem Tiernotruf eingab, den mir die Frau sagte.
„Bin ganz aufgeregt“, meinte ich noch. „Ich auch“, gab sie zurück.
Mehr als ein Anrufbeantworter mit einer Ansage war nicht dran. Eine durchgesagte Nummer notierte sich die Frau und rief auch dort an. Ohne Ergebnis, wieder ein AB.
Neben mir sagte der Mann: „Oh Mann, das könnte auch ein Kind sein…“
Dann fiel mir unser Tierarzt in Bordesholm, Dr. Osbahr, ein. Von dem wusste ich, dass er auch in die Praxis kommt, wenn man er außer Dienst ist. Angerufen, Fragen gestellt und entschieden, dass die Katze dort hin zu bringen ist. Das waren zwar zwanzig Minuten Fahrt, aber dann wäre auch jemand da.
Ganz ehrlich? Ich bin wahrlich kein Tierarzt (sonst wäre ich ja auch nicht so hilflos gewesen), aber ich weiß, dass die Chancen bei solchen Fällen für das Tier nicht gut stehen. Das Tier hat aber einen schnellen und schmerzfreien Tod verdient, wenn man nichts mehr tun kann. Das war die Seite des Realisten in mir. Die Andere hoffte, dass man das Tier dem Besitzer geheilt und repariert wieder übergeben kann.
Der Tierarzt lotste uns in den Röntgenraum, spritzte Beruhigungsmittel und was gegen Schmerzen, machte Röntgen-Aufnahmen und er wurde bei all dem nicht fröhlicher. Ein ungechiptes, untätowiertes Tier mit einem Zeckenhalsband. Kurzzeitig machte ich mir darüber Gedanken, ob man nicht auch mit vier Katzen leben kann. Sind ja sowieso nie alle da…
Nach einer halben Stunde war klar, dass es kein Happy End geben würde. Es wäre Tierquälerei gewesen: Es gab einen Bruch am Anfang des Schwanzes, Verletzungen am Kopf und das Spucken von Blut. Der Tierarzt gab die Spritze und das Hecheln verklang. Mit der Decke in der Hand ging ich heulend zum Auto. ‚Es war noch nicht mal meine Katze‘, dachte ich, ‚und ich heule‘. Es war ein Verlust von etwas sehr Unbestimmtem.
Die Welt ist schlecht
Zu Hause im Bad sah ich mich im Spiegel: Blutverschmierte Kleidung und Hände, Blut-Spritzer im Gesicht. Getan, was getan werden musste, und trotzdem einfach traurig und wütend.
Katzen sind unberechenbar, wenn es um Verkehr geht. Stehen sie an einer Straße, weiß man nicht genau, was passiert. Vielleicht verschwinden sie im Gebüsch, vielleicht rennen sie auch wieder zurück über die Strasse, die sie gerade überquert haben. Eine Katze mit dem Auto zu erwischen, ist oftmals nicht zu vermeiden. Was mich fassungslos macht, ist, die Teilnahmslosigkeit. Man kann von dem Verhalten gegenüber Tieren auch auf das Verhalten gegenüber Menschen schließen können. Wenn man es genau bedenkt, sollte das weniger wütend als ängstlich machen.