Gestern war der Lütte, der im Campingwagen neben uns nächtigte, wahrscheinlich später im Bett als wir. Um neun Uhr waren wir im Bett und kurze Zeit später im Reich der Träume. Ich kann nicht sagen, was ich träume. Meist wache ich auf, weil mir kalt ist. Auf Susanns Seite ist das Fenster offen und sie okkupiert in der Nacht entweder ein Großteil der Decke für sich oder ein Großteil des Bettes. Vielleicht stand ja auch der Wagen ein wenig schief.
Wir haben heute Morgen Wells Gray verlassen. Mit einem lachenden Auge – schließlich hatten wir die hüpfenden Lachse gesehen und die fantastischen Wasserfälle – und mit einem weinenden, da wir eine traumhafte Ecke verlassen mussten und vieles nicht gesehen hatten.
Da wir aufgrund der fehlerhaften Tank-Anzeige im Wagen nicht genau wissen, wie der Füllstand nun ist, wollten wir heute Morgen eine Entleerung durchführen. Wir hatten die Dump-Station aber nicht gefunden und sind in der Hoffung, eine unterwegs aufzutreiben, in Richtung Jasper gefahren. Unser heutiges Tagesziel war Mount Robson. Durch gemeine Bilder von niedlichen Bären wurden wir aber sowohl von dem Einen wie auch dem Anderen abgelenkt. Wir sind gestern drei Stunden unterwegs gewesen und haben nur einen Vogel gesehen, der als besonders einzustufen war; warum sollte das bei einer einstündigen Fahrt anders sein? Aber der animalische Touristentrieb in uns schaltete die Vernunft einfach mal so aus und ließ mich die Kreditkarte für eine River-Safari zücken. Wir warteten eine Stunde bevor es losging und beruhigenderweise waren die Vertragsregeln relativ kurz und knackig gefasst: Egal was passiert, der Veranstalter, seine Angestellten und Mitarbeiter, Agenten und die Regierung Kanadas wären nicht Schuld. Gestern gab es da mehr zu lesen…
Dafür ging es rasant los. Ich saß vorn, Susann und die Frau Schwiegermama eine Reihe schräg hinter mir. Zwölf Leute hatten auf dem Boot Platz und es musste auf eine gewisse Balance geachtet werden. Ohne den Motor anzuwerfen, stieß Raoul – unser Bootsführer – vom Anleger ab und wies uns in die Gegebenheiten ein. Man möge leise sein und, wenn man Wild sehen würde, bitte mit dem Arm auf die entsprechende Stelle zeigen. Mir wurde zugetragen, dass sich dann Folgendes zutrug: Frau Schwiegermama meinte, etwas zu ihrer Tochter sagen zu müssen. Diese wiederum, im befolgen von Regeln absolut mustergültig, meinte: »Pssst, Mama!« Bruchteile von Sekunden später warf Raoul den Bootsmotor an und jedes »Pssst« wäre nicht mehr zu hören gewesen.
Mit ohrenbetäubenden Lärm ging es durch das Wasser. Schlug gestern das Pendel massiv in Richtung »Relaxing« ging es heute dazu in Opposition. Es stellte sich schnell Schnellboot-Feeling ein und ich fragte mich, ob Sinn und Zweck der Tour wäre, die Bären zu verscheuchen. Das klappte auch ganz gut. Der Schwarzbär war in der Nähe eines »Stein-Strandes« zugange. Er hörte unser Boot anrauschen und wir sahen nur die Rückseite des Bären. Mehr als gestern, immerhin, aber doch irgendwie enttäuschend. Es ging weiter flussabwärts und wir bekamen einen wunderschönen Blick auf die Landschaft. Wäre es als Schnellboot-Tour verkauft worden und wäre billiger gewesen, ich wäre im siebten Himmel gewesen. Ein Blick auf schöne Gletscher und schon ging es zurück. Wenn das alles an River gewesen ist, dann war es aber nicht dolle, dachte ich noch, bevor es wieder rasant zurück auf den See ging. Irgendwie zielstrebig strebte Raoul auf eine Stelle an dem See zu, an dem sich auch schon ein anderes Boot der Company tummelte. Da war also ein Schwarzbär! Und in der Tat, wir sahen einen ausgewachsenen Schwarzbären, der sich gemütlich über irgendwas am Ufer hermachte. Vermutlich Beeren und/oder Insekten. Nachdem wir geschätzt eine Million Fotos von ihm gemacht haben und er damit das meistfotografierte Tier nach Flipper sein dürfte, ging es weiter und schau an, ein zweiter Bär hatte sich es sich ebenfalls am Ufer gemütlich gemacht. Apropos Beeren: Der Schwarzbär ist sehr gern Blaubeeren. Die scheint es hier also auch zu geben…
Ooooch, war das schön – wir haben Vancouver gesehen, die Berge, hüpfende Lachse und nun auch Bären: Eigentlich könnten wir jetzt wieder nach Hause fahren. … War ein Scherz!
Weiter ging es in Richtung Jasper. Es gab noch mal einen kleinen Wasserfall, bevor wir uns am Mount Robson einen Campingplatz suchten. Das Prinzip »Wer zuerst kommt, wird zuerst bedient« ist eine dufte Sache, für die, die rechtzeitig da waren. Die Anzahl der verfügbaren Plätze war schon recht beschränkt, aber wir haben noch einen schönen Platz gefunden. Gar nicht weit zum Toilettenhäuschen.
Jetzt sieht man Autos durch das Camp cruisen auf der Suche nach einem Platz.
Die Damen machten sich einen Kaffee und es gab noch ein paar Kekse. Ich machte mir auf den Trail zum Fraser River. Danach war den Damen nicht mehr, obwohl es nur als halbstündige Wanderung angekündigt war. Ich war schon fast am Fluss, da sah ich einen Strauch, der sich heftig bewegte. Geht man weiter, in einer solchen Situation, oder lässt es lieber bleiben. Ich erinnerte mich, was die Bären-Ratgeber für die Bären in British Columbia rieten: Laute Geräusche machen – ich fing an zu pfeifen und setzte auf die Musik aus dem iPhone – und marschierte vorsichtig weiter. An dem entsprechenden Busch vorbei, wo nichts mehr zu sehen war. Vielleicht Fehlalarm. Ich setzte mich an das Ufer vom Fraser River und fing an Fotos zu machen, genoss das Panorama. Vond er anderen Seite kam ein Mann und guckte. Guckte nochmal, guckte und kam auf mich zu. »Ist hier ein Schwarzbär gewesen?« »Möglich«, sagte ich, »ich habe Bewegung in den Büschen gesehen, aber keinen Bären.« Durchatmen.
Zurück bin ich dann nochmal in Richtung Mount Robson marschiert und habe ein paar schöne Bilder aus der Ferne gemacht.
Kinder sausen mit Fahrrädern durch die Anlage. Alle ohne Fahrrad-Helm, dafür mit Wasserpistolen bewaffnet.
Nun wird es langsam dunkel, die Leute werden ruhiger, man hört das Knistern von Lagerfeuern – wir werden zu Abend essen. Draußen wird es langsam frisch und nach dem Abendbrot werden wir uns in den RV verziehen.
Die ersten 16 Gigabyte Film-Material sind voll. Auf dem letzten Platz sollten 25 Megabyte Internet-Traffic 5 Dollar kosten – da war ich dann doch ein wenig geizig: Wie weit kommt man noch mit 25 MB? Da darf nur hoffen, dass man die Dropbox-Synchronisation ausgeschaltet hat und der Rechner nicht der Meinung ist, mal kurz Betriebssystem-Updates zu ziehen – ansonsten hat man noch nicht eine EMail abgerufen, da ist schon Feierabend. Auf diesem Platz ist Wifi weit und breit nicht zu sehen – insofern sind wir ein wenig ratlos, wie das Wetter die nächsten Tage wird. Hoffen wir mal, dass es so bleibt, wie es ist: sonnig mit ein paar Schönwetter-Wolken. Das wäre das ideale Wetter für den Icefields Parkway, auf den wir uns ab morgen begeben.