Gestern ging es vom Wilcox Creek nach Lake Louise. Im Reiseführer stand , dass dies der schönste Teil des Icefields Parkway wäre. Schönheit ist immer schwer zu vergleichen, denn wenn man das Schroffe mag, ist man im Jasper National Park vielleicht besser aufgehoben, wenn man die azurfarbenen Seen mag, dann eher im Banff National Park. Wenn man keine Präferenz hat, dann ist es egal und findet alles schön. So geht es mir.
Man fährt um eine Ecke und stellt fest: Hey, das ist ja noch schöner. Blickt zurück in den Rückspiegel und denkt sich, nun ja, das andere ist auch sehr schön.
Wir haben die Panther Falls, die vierthöchsten Wasserfälle von Kanada, verpasst. Mir ist immer noch schleierhaft, wie uns das hat passieren können. Dabei passe ich doch auf, wie ein Luchs. War Sabotage im Spiel? Dass ich einen kleinen Augenblick abgelenkt war, und der Rest der Crew gedacht: »Gott sei Dank, das Schild zu dem Wasserfall hat er übersehen?« Dann hätte das ja zweimal hintereinander passieren müssen. Zum Umkehren war es zu spät, als ich definitiv feststellte, dass wir den Wasserfall verpasst hatten.
Einen schönen Blick über das Tal gibt es beim Peyto Lake. Aber da komme ich gleich drauf zurück…
Das Fahren mit dem RV hat seine Vorzüge: Man hat alles dabei. Stellt man am Lake Louise fest, dass man die falsche Kleidung trägt, kann man sich einfach umziehen. Schuhe wechseln, abhängig davon, ob man gleich einen Trail oder einen kurzen Weg zum See geht – kein Problem! Ist innerhalb von Sekunden erledigt. Man kann sogar, wie wir es auch schon gemacht haben, eine Pause einlegen – schlafen, lesen, Kaffee trinken, arbeiten -, wenn das Wetter mal nicht so mitspielt oder die Kräfte schwinden. Man geht zum Kühlschrank, holt sich sein Wasser, seine Cola, was auch immer und isst. Einfach toll.
Es gibt aber auch Schattenseiten: Wir haben September, die Ferienzeit ist hier in Kanada vorbei, der entscheidende Feiertag – Labour Day – auch. Trotzdem sind einige Attraktionen heillos überfüllt. Ich hatte es gestern, für den Zeltplatz beschrieben. Gestern ging es uns am Lake Peyto so. Wir fuhren auf den Parkplatz und fanden keine Lücke, mit unserem Kleinen. Es ist nicht so, dass man sich mit einem RV irgendwie dazwischen drängelt. Der Effekt dieses »recreational vehicle«, was RV – Wikipedia verriet es mir eben – eigentlich heißt, kehrt sich dann ins Negative. Wir stellen uns außerhalb, aber die Damen waren der Meinung, dass sich das nicht lohnen würde und wir weiterfahren sollten. (Ein Grund, das Geschlechterverhältnis in einem RV bei 1:1 zu belassen, ist damit schon mal gefunden.) Weiterfahren? Keine Option! Zumal im Reiseführer stand, dass dieser Punkt eine Muss sei. Und wann hat mich der Reiseführer schon mal belogen gehabt (abgesehen davon, dass er mir Erholung mit dem RV versprach und dass es im September ziemlich leer auf dem Parkway wäre)?
Es gab noch eine weitere Auffahrt für Busse und Behinderte. Letzteres traf nicht zu, aber als Bus konnte ich den Kleinen schon mal sehen. Also nichts wie hoch. Ein Busfahrer, der runterfuhr, winkte mir zu – vielleicht machte er auch was mit dem Zeigefinger, was zeigen sollte, dass das verboten war. Da ich die Geheimcodes der Zeichensprache in Kanada nicht kenne, wäre es nur herumraten gewesen. Also fuhren wir hoch und stellten fest, dass man nicht parken kann.
Die Damen waren nun der Meinung, man könne ja jetzt weiterfahren. Kommt gar nicht in Frage, meinte ich, ich steige hier aus und schaue mir das an. Sie könnten ja an dem Platz, auf dem wir vorher außerhalb vom Parkplatz standen, auf mich warten. Ich schaute mir das an, versuchte die Japaner/Chinesen – es ist peinlich, ich kann es immer noch nicht unterscheiden, – und Deutschen, die in Reisegruppen-Horden dort aufschlugen, zu ignorieren und erfreute mich an dem fantastischen Blick über den Lake Peyto. Dann marschierte ich wieder runter, einen schönen asphaltierten Weg, den ich bei der Hitze sicher anstrengend gefunden hätte, und tat mich mit den Damen zusammen. »Das müsst ihr euch anschauen!«, meinte ich. Das müsste nicht sein. Manchmal ist dann ein »doch« angebracht und wir exercierten diese Übung noch einmal durch. Die Damen waren doch sehr angetan.
Weiter ging es nach Lake Louise. Wir kamen kurz nach dem Mittag dort an und entschlossen uns, entgegen den Ratschlägen des Reiseführers, zum Lake Louise zu fahren. Nachdem wir aber die Zeit hatten und wussten, dass der Zeltplatz an einer Bahnlinie lag, die recht laut sein sollte, hatten wir schon im Hinterkopf, dass wir vielleicht statt zwei Nächten dort nur eine Nacht verbringen sollten.
Es war voll. Sehr voll. Aber trotzdem war der See sehr schön. Man muss die Menschenmassen ausblenden, die sich da tummeln, und schon geht es einem gut. Dass dies eine gute Entscheidung gewesen war, merkten wir, als wir unseren Stellplatz bezogen hatten. Dieser war ziemlich am Ende vom Campingplatz (an ein Laufen zum Duschhaus war nicht zu denken – die Bären, die Bären! meinte Susann nur, womit wir auch die Gelegenheit hatten, unsere Dusche mal auszuprobieren) und kurz darauf kam schon der erste Zug vorbei. Wie, um eine kleine Kostprobe zu geben, hupte er zwei-, dreimal. Und das war nicht das kleine, charmante Tröten, das hätte auch der Weckruf für die internationale Arbeiterklasse sein können. Wenn das in den Schlafensstunden auch gemacht werden würde, dann würde es wohl keine Schlafensstunden werden. Was folgte war das nicht enden wollende Geratter der Güterwaggons. Ein Höllenlärm! Zur Beruhigung: Wir hatten den letzten Zug gegen elf Uhr nachts, danach kam kein Zug mehr oder wir waren zu müde, um ihm zu hören. Ich vermute aber ersteres.
Wir fahren zum Abend noch mal im Ort – was ein Insider-Witz wahrscheinlich ist – da der Ort scheinbar nur ein kleines Einkaufszentrum ist. Das »Bar & Grill« (oder umgekehrt) war irgendwann in chinesische Hände gewandert, weshalb die Speisekarten einen etwas anderen Touch bekommen hat, und der Salmon Burger auch aus fittiertem Lachs bestand, was ich vorher auch noch nie gesehen habe.
Als wir wieder kamen, meldete der Campingplatz »complete«, was auch ein wenig gegen »Nebensaison« spricht, da der Platz um die 140 RV-Plätze hat. (Den Zeltplatz kann ich nicht beurteilen, aber ich weiß, dass er einen Bären-Elektro-Zaun besitzt. Es ist immer eine Interpretationsfrage, ob die Bären draußen gehalten werden oder die Zelter eingesperrt werden.)
Dann noch ein Letzters: Heute morgen ging es zum Moraine Lake. Wir sind um kurz vor neun Uhr losgefahren. Als wir am Parkplatz zum See ankamen, bekamen wir den vorletzten Platz für RVs. Der Ausflug hat sich auf jeden Fall gelohnt, auch wenn die Japaner/Chinesen schon da waren und vor meiner Linse mit komischen Posen herumtobten. Ich hatte meine Kamera zeitweise auf „Sportbelichtung“, damit ich einen eventuellen Akrobaten-Sturz auch sauber aufnehmen kann. Das ist dann allerdings nicht passiert.
Um die Gemüter zu beruhigen: Es ist nicht überall voll. Es ist da voll, wo die Touristenbusse anhalten. Das kann man kurz zusammen fassen. Es handelt sich um Lake Louise, Lake Moraine, Lake Peyto, Columbia Icefields. Ob dann noch eine Station angefahren wird, weiß ich nicht. An den Wasserfällen vor Jasper habe ich sie nicht gesehen. Das ist wahrscheinlich für einen Tag dann auch ganz schön viel, so dass gar keine Zeit mehr für andere Sehenswürdigkeiten bleibt. Die kleinen Pfade und die schönen Viewpoints unterwegs, an denen bleibt man von den Bussen verschont. Während wie mit 60/70 km/h den Parkway langcruisten, pesten die Busse da mit 90 und mehr entlang.
Vom Moraine Lake sind wir ohne Umwege nach Calgary gefahren (Banff kommt auf der Rücktour) und machten uns einen schönen und erholsamen Nachmittag ohne Kilometer-Schrubben auf dem Campingplatz. Morgen geht es in die Stadt.