Lange, lange Jahre war Montag der wichtigste Tag. Zumindest was Zeitschriften und Magazine anging. Ich marschierte zum Kiosk und besorgte mir den SPIEGEL. Später hatte ich sogar ein Abo. Dann gab es eine Tendenz der Berichterstattung, die mir nicht schmeckte. Da ist wenig Wehmut dabei, man kann sich ja trennen. Dem Verlag wird es mehr weh getan haben als mir. Der Trennungsschmerz war kurz, denn ich habe eine neue Geliebte. Die erscheint mittwochs und kostet noch nicht einmal was. Sie heißt »Bordesholmer Rundschau«.
Schnell haben wir spitzbekommen, dass viele Meldungen in dem schmalen Heftchen viel wichtiger für uns sind, als die seitenlangen Berichte über die Katastrophen der Welt, über irgendwelche Pillen und Pseudo-Prominente, die der SPIEGEL mal wieder auseinander nimmt. Nein, dass mittlerweile im 51. Jahrgang erscheinende Blättchen versorgt uns mit wichtigen Informationen aus der Region. Habe ich am Anfang noch darüber gelächelt, dass manchmal die »redaktionellen« Artikel auf der gleichen Seite stehen wie die Anzeigen, so nehme ich das heute gar nicht mehr war.
Da gibt es wieder einen interessanten Film im »Savoy«, unserem örtlichen Kino, welchen man ja mal besuchen könnte. Aber seit wir hier sind, haben wir das noch nicht ein einziges Mal geschafft. Eine Schande, ich weiß, aber nun habe ich im letzten Jahr zumindest schon mal ergoogelt, wie wie wir zum Kino kommen könnten.
Unerlässlich sind auch die Hinweise auf Versammlungen in den Gemeinden, insbesondere der unsrigen, die wir hin und wieder besuchen; auf B-Plan-Änderungen und Veröffentlichungen, dass Rattengift auszulegen wäre. Auch der Kleinanzeigen-Markt ist nicht zu verachten und in der letzten Ausgabe habe ich einen schweren Missbrauch der Rubrik »Gratis-Grüße« beobachten müssen, als ein Kind oder Jugendlicher seinem Jonas zum zweiten Geburtstag alles Gute gewünscht hat. Da dürfte er sich in vier, fünf Jahren aber heftig drüber freuen, der Jonas.
Wie immer ich zu solchen Blättern früher stand, jetzt ist es anders. In den letzten Monaten wuchs meine Wertschätzung für das Blatt und das kam so:
Sicher gab es irgendwo in den amtlichen Bekanntmachungen irgendwann ein ein Hinweis, dass man plane eine Fläche für Wind-Energie-Nutzung auszuschreiben. Diese habe ich sicher wahrgenommen und kurz geprüft, inwiefern uns das direkt treffen würde. Tut es gar nicht. Von hier aus ist es noch hinter der Bahnlinie, mehrere Kilometer entfernt. Wir wären davon betroffen, wenn wir ins Dosenmoor fahren würden. Das wäre Erholung und ich würde mir gewiss denken: »Jetzt stehen die hier auch schon…« und das wär’s dann aber auch.
In den Gemeinden wurden Bürgerentscheide initiiert. Im Vorlauf zu der in Wattenbek, die heute stattfindet, fand über Leserbriefe eine heftige Auseinandersetzung der Befürworter und Gegner statt. Es gab keinen einzigen »redaktionellen« Titel zu diesem Thema, sondern der Diskurs fand über diese Briefe statt. Der Stil war nicht immer fein, manchmal fühlte sich der eine oder andere angegriffen. Die Argumente der eine wie der anderen Partei waren oft angreifbar und wurden auch angegriffen. Ich weiß nicht, wie viele Leserbriefe eingegangen sind, aber es schien mir immer ein Gleichgewicht zwischen den Meinungen der einen wie auch der anderen Seite zu geben. Wenn die »Bordesholmer Rundschau« nach dem Proporz der eingegangen Briefe veröffentlich hat, dann würde ich sagen: So stelle ich mir gelebte Demokratie vor.
Es geht auch anders: Das in dem Heftchen der »Versorgungsbetriebe Bordesholm« (Disclaimer: Wir beziehen wohl unser Wasser von denen.) auf bestem Papier und in vier Farben heftig Werbung für Windkraft gemacht wird, darf man als selbstverständlich erachten. Keiner hat größeres Interesse daran. Aber es gibt ja noch ein anderes Anzeigenblatt. Das durfte ich heute in den Händen halten. Im »WestenSeher« wird redaktionell gleich ganz klar gemacht: »Wir sind für die Windkraft.« Och, dafür bin ich auch. Aber ich mag es gar nicht, wenn mir gesagt wird, dass ich dafür zu sein hätte. Die Bedenkenträger, ein negatives Wort – welches dann auch in den Texten verwendet wird -, werden nur kurz erwähnt und auf deren Argumente gar nicht eingegangen. Verkauft wird das Ganze als »Wir tun etwas für die Region.« Viel billiger, sorry, geht es eigentlich nicht. Das ist nichts als eine Kampagne und zwar in dem gleichen negativem Sinne wie das Wort Bedenkenträger.
Und mal ganz ehrlich: In einem Anzeigenblatt muss man sicher seine Kompromisse machen, aber doch nicht gleich mit einem guten Anzeigenkunden »ins Bett gehen«. Da wundert es eigentlich nicht, dass die Redakteure des »WestenSeher« auch im Mitteilungsblatt des örtlichen Versorgers schreiben.
[Nachtrag: Der Antrag wurde angenommen – sprich, die Wattenbeker Bürger haben sich dagegen ausgesprochen, dass die Fläche als Windpark ausgewiesen wird. Etwas über 50% Wahlbeteiligung und von den Wählenden haben etwa 2/3 den Windpark abgelehnt. Hier kann man nachlesen, wie es zu dem Bürgerbegehren kam.]