Manchmal überkommt es mich und ich muss einfach helfen. Ob die Leute wollen oder nicht. Meist wollen sie aber schon. Zum Beispiel die nette Dame, die der Meinung war, auf ihre Frage gäbe es nur eine Antwort. Eine witzige Vorstellung, wenn man den Metro-Plan von Paris in den Händen hält.
Ich kam um kurz zehn nach halb zehn Uhr am Gepäckband an und dieses verlautbarte, dass es nur noch elf Minuten dauern würde, dann würde das Gepäck anrollen. Da ist ja schon mal was und schon viel mehr, als man beispielsweise in Berlin-Tegel oder Rom erwarten kann. Ich setze mich und nahm damit still Rache an den Japanern, die mit ihrer Reisegruppe alle Sitzplätze in Frankfurt geklaut hatten. Aber Japaner am Gepäckband haben keinen Sinn mehr für Sitzeplätze. Sie scharen sich um das Band und harren in freudiger Erregung auf ihr Gepäck.
Eine junge Frau setzte sich neben mich, kramte in ihrer Handtasche und förderte dann den unvermeidlichen Paris-Nahverkehrsplan aus der Tasche und begann ihn zu studieren. Dann wandte sie sich mir zu und fragte, ob ich wüsste, wie man denn nach Paris kommen würde. Mit dem Zug, war meine Antwort. Und wo würde der fahren? Ui, das war eine gute Antwort. Das weiß ich immer erst, wenn ich das Terminal verlassen haben. Hier oder woanders, war meine Antwort, aber auf alle Fälle kommt man mit dem Zug weg. Gut, war ihre Antwort.
Kann man da auch Tickets ziehen? Ja. Mit Münzen? Ja, oder mit Kreditkarte oder Bankkarte. Fein.
Ich wagte zu fragen, ob sie aus Deutschland käme, weil mit einer Deutschen ein solches Gespräch in Englisch zu führen, wäre ja ziemlich albern, wenn auch gut für meine Vokabelkenntnisse. Nein, sie kämme aus Minsk. Aha. Ihr Flieger wäre zu spät in Frankfurt gelandet und deshalb sei sie ein wenig durch den Wind, denn sie wäre nun auch verspätet in Paris.
Ins Gespräch kommen, wäre jetzt etwas zu viel gesagt. Ich würde ja sagen, wir unterhielten uns weiter über den Nahverkehr. Wo sie denn hinmüsse?, fragte ich sie. Sie zeigte es mir – wenn man von Charles de Gaulle kommt, so war ihr Ziel am anderen Ende. Ich sagte ihr, sie möge in Erwägung ziehen ein Taxi zu nehmen. Eine Empfehlung für einen Deutschen, der seine Reisekosten voll erstattet bekommt. Sie machte nicht den Eindruck, als würde sie es ernsthaft in Erwägung ziehen. Sie war aber auch noch nicht die kurzen Striche von einer Metro-Station zu einer anderen gelaufen, die sich in Paris als ausufernde Spaziergänge herausstellen können, was ich um elf Uhr abends nicht mehr unbedingt machen würde. Egal.
Sie müssen von grün zu blau wechseln und von dort zu rot und dann wäre sie ja schon fast da, wenn sie noch schnell zu violett springen würde. So ungefähr sah die Verbindung aus, die sie sich ausgesucht hatte. Da dachte ich mir, sollte ich vielleicht noch einmal ein Blick drauf werfen. Ich bin ja ein Fan der RER, die zwar dreckig und nicht besonders komfortabel ist, dafür aber besonders schnell. Ich verwies sie auf die Linie E, womit sie zum Gare St.. Lazare kommen würde (meine Hausstrecke vor zwei Jahren) und könnte dort gleich in ihre grüne Linie umsteigen.
Das fand sie schick. Mein Gepäckstück kam und ich fragte, ob ich warten solle. Nein, alles bestens. Sie nahm an, dass ihr Gepäckstück nicht dabei sei. Viel Glück und tschüss.
Ich rekonstruierte mein Gedächtnis. Fahrstuhl runter, in die Pendelbahn, Fahrschein kaufen, zum Bahnsteig stürzen und feststellen, dass der Zug gerade weg ist. Kaum saß ich, kam der erste Bettler und der hat das Privileg von mir eine Spende zu erhalten. Kaum war er weg, winkte mir schon die junge Frau mit dem Plan zu, freute sich und setzte sich zu mir. Und fing an den Plan zu studieren. Die Linie E fand sie mittlerweile auch sehr sexy. Sie müsste ja zu Magenta (so heißt die Station wirklich) wechseln und dann wäre sie fix da. Ja, meinte ich, wo wäre das. Ihre Stirn war aber wieder umwölkt von Falten und ich meinte, ich könne ihr zeigen, wo das wäre. Ich würde auch am Gare du Nord aussteigen.
So geschah es dann auch, sie fragte mich nach dem Namen, nannte mir ihren und dann verschwand sie aus meinem Leben und der Taxifahrer trat ins meines.
Die Unterhaltung mit der Weißrussin war fast Erholung gewesen, was folgte. Ein Pariser Taxifahrer, der das Bedürfnis hatte, eine Unterhaltung mit mir zu führen. Wenn es ginge, auf französisch. Da war er bei mir ja an der richtigen Adresse. Ich sagte ihm, dass ich nur sehr wenig französisch könne. Ahh, sehr wenig, muss er sich gedacht haben, ja – das ist ja mehr als gar nichts. Dann mal los, dann fange ich mal eine Unterhaltung mit dem netten jungen Mann an. So muss er es sich gedacht haben. Ob ich aus Holland käme?, war seine Eröffnungsfrage. Nein, meinte ich, ziemlich baff, denn das hatte mir nun noch keiner vorgeworfen. Belgien wäre jetzt noch schlimmer gewesen, von denen weiß ich im Augenblick nicht einmal, ob sie eine Regierung haben…
Aus Deutschland, bekannte ich mich offen zu meiner Herkunft. Auch dafür habe ich Jahre gebraucht, aber überraschenderweise war der Taxifahrer begeistert. Ein schönes Land, gab er mir zu verstehen und ziemlich groß. Er war schon in Deutschland gewesen. Ich finde so etwas immer etwas obskur, von beiden Seiten. Das ist so, wie wenn ich einem Franzosen sofort erzähle, in welchen Städten seines Landes ich schon gewesen wäre. Aber dieser Taxifahrer konnte Städte in Deutschland aufzählen, von denen ich sagen muss, ich kenne sie, aber sie aber noch nie besucht – käme auch nicht auf die Idee: Minden und Hagen beispielsweise.
In Minden war ich schon. Das kann man mal machen. Ich hab es beruflich gemacht und es ist eine hübsche Stadt mit einem guten indischen Restaurant und einem Chinesen, den ich nicht wirklich weiter empfehlen würde. Aber Hagen? Eine große Tour, fragte ich den Taxifahrer. Nein, verschiedene Reisen, immer als Tourist. Da kann man mal sehen, Taxifahrer können einen immer wieder überraschen.
Die Ladung Milch in seinem Auto, die es nur erlaubte, ein Gepäckstück zu transportieren war übrigens dem Baby geschuldet, das zu Hause auf ihn wartete. Aber das ist nun vermutlich eine ganz andere Geschichte.