Wir sind ja alles Widerstandskämpfer gewesen und sind es immer noch. Deshalb sollte man auch, wie ein bekannter Kabarettist empfohlen hat, seine Kabarett-Karten immer aufbewahren, um gegebenenfalls nachweisen zu können, man ja immer dagegen gewesen und habe gegen das alte Regime angelacht. Zwar haben wir als Kinder auch die üblichen Aktivitäten in der Pionierjugend und FDJ mitgemacht, Altstoffe gesammelt, Kuchen für Nicaragua backen lassen und Schmalzbrötchen verkauft – aber es gab auch Kommandoaktionen, die dem Staat geschadet haben.
Unsere Sabotageakte trafen immer den landwirtschaftlichen Betrieb, der direkt vor unserem Garten wirtschaftete. Als wir Ende der siebziger Jahre an den Schlänitzsee kamen, wurde vor unserem Garten noch Getreide angebaut. Das änderte sich, einer der vielen Glücksfälle in meinem Leben, in den 80ern, als man meinte, dass Johannisbeeren für die Kinder der Gartenbesitzer viel gesünder wären und es auch viel mehr Platz zum Spielen gäbe. Es war ein riesiges Feld und mir persönlich kamen die schwarzen Johannisbeeren ja nicht so entgegen, aber die roten und die weißen sorgten immer wieder für viel Vergnügen und eine gesund Zwischenmahlzeit. Wir fuhren in der Zeit immer mit dem Fahrrad herum und waren als Heranwachsende mit diesem gewissen Appetit gesegnet. Es überkam uns und wir flüchteten in die Felder, ernteten ein paar Trauben, die wir dann üblicherweise komplett in den Mund steckten und den Stil herauszogen. Es wäre gewiss klüger gewesen, sie zu ernten und zu waschen – aber das sahen wir nicht so, denn man hatte sein Pensum an Abenteuern zu absolvieren und langweiliges Obst waschen gehörte nicht in diese Kategorie. Der Effekt auf die Volkswirtschaft ist heute nicht mehr nachweisbar und mein heutiges Gewicht kann ich nicht den Johannisbeer-Exzessen meiner frühen Jugend anlasten. (Im Gegenteil: Die Kombination aus massivem Obst-Konsum plus exzessivem Fahrrad-Fahren und dem ständigen Nachspielen von »Auf die Bäume ihr Affen, der Wald wird gefegt« würden mich wohl heute auch ratzfatz wieder zu einem Weight-Watcher-Ideal-Model machen.)
Aber es gab da auch noch die Bewässerungssabotage. Zwischen dem Bahndamm und dem Feld gab es einen Bewässerungsgraben, der direkt vom Sacrow-Paretz-Kanal kam. Wenn man jetzt nicht unbedingt Lust auf Wasser hatte (manchmal war’s ja auch nicht so angenehm, wenn man so an die Algenblüte denkt), dieses kleine Wässerchen kam immer mit klarem Wasser daher. Mit meinen Mitverschwörern kamen wir auf die glorreiche Idee, dass sich die kleinen Fische in dem Bach ja vielleicht wohler fühlen würde, wenn man ihnen so etwas wie einen See anstauen würde. Wir spielten also nicht Junge Pioniere sondern Junge Biber und bauten einen Damm.
Dann galt: »Nach Dammbau verreist.«
Vier Wochen später konnten wir den phänomenalen Erfolg unseres Eingriffs beobachten und ich stand mit einer Mischung aus Stolz und Schrecken vor unserem Bauwerk. Dort, wo vorher ein stetes Wässerchen entlangflüsselte war nun fast nichts. Über unseren Staudamm ran ein wenig Wasser, aber den Graben konnte das kaum füllen. Ich bin mir nicht mehr sicher, aber ich glaube, es war ein beachtlicher Stausee entstanden mit Abflüssen, die wir nicht geahnt hatten. Den Fischen, das konnte man sehen, hatte das aber sehr gut getan.
Das fiel mir jetzt neulich ein, als ich in unserem Beet stand und völlig legal, Rote Johannisbeeren vom Strauch pflückte und sie mir damals in den Mund schon und sie mit einem heftigen Ruck von ihrem zarten Stamme löste.