Es geht wahrscheinlich jedem so, zumindest hoffe ich das. Ein Treffen steht an und man hat von der Person, die man trifft und von der Art, wie das Treffen stattfinden wird, ganz eigene Vorstellungen, die mit der Realität wenig zu tun haben. Tritt das Ereignis dann ein, ist man überrascht, wie naiv man war (oder ist). So, heute habe ich das Amerikanische Generalkonsulat in Frankfurt heimgesucht und es war gehörig anders, als ich es mir vorgestellt hatte.
Immerhin hatte ich mir gedacht, dass es eine gute Idee ist, zu einem Termin, zu dem man einbestellt ist, ein wenig früher zu kommen. Ich weiß, dass dieses Vorgehen bei Vertriebsleuten nicht so angesagt ist, die darauf bestehen pünktlich zu sein. Auf den Punkt genau, wenn man genau will. Was damit demonstriert werden soll, habe ich noch nicht herausgefunden. Vermutlich hat es etwas mit Verlässlichkeit zu tun, eine Verlässlichkeit die der Kunde danach nur selten wiederfinden wird. Egal…
Der Vertriebsbeauftragte oder Verkäufer muss aber auch nicht durch die Sicherheitskontrollen eines Generalkonsulats und die fand ich beträchtlich. Unvorbereitet trifft es einen nicht, das kann ich nicht sagen. Auf Zettelchen und EMails wird man darauf hingewiesen, dass größeres Gepäck nicht aufbewahrt werden könnte, dass der Zutritt mit Waffen nicht erlaubt sei und selbst Mobiltelefone verboten sind.
Was für Fremde in einer Stadt ein logistisches Problem darstellt. Das war es auch so noch, denn immerhin liegt Frankfurt nicht in unmittelbarer Nähe von Kiel und eine Übernachtung ist bei einem Termin um neun Uhr immer drin. Somit natürlich auch ein wenig Gepäck, was dann wiederum nicht mit in das Konsulat genommen werden soll. Man könne, so der freundliche Vorschlag in den Schreiben, die Sachen ja zu Hause (hihi), im Auto (nun ja) oder bei wartenden Freunden lassen. Die vor der Tür zu warten haben. (Das müssen wirklich gute Freunde sein, die da warten, aber da komme ich noch später drauf zurück.)
Das Handy kann man zwar mitnehmen, es wird einem wie Schlüssel und andere potentiell gefährliche Gerätschaften aber bei der Eingangskontrolle aber abgenommen. Mir ist natürlich klar, dass dies reine sicherheitstheoretische Überlegungen geschuldet ist, hat aber den Vorteil, dass man nicht ständig irgendwelche mysteriösen Handy-Klingeltöne vernehmen und das darauffolgende Geplapper ertragen muss. Ein Segen also. Der bei meinem Besuch nur dadurch relativiert wurde, dass ich mich neben einem Rudel von LTU-Stewardessen gesetzt hatte, die locker für zwanzig Handys nervten.
Meine Sachen konnte ich im Hotel lassen und später wieder abholen.
Zurück zu meinem Eintreffen. Vor dem Konsulat standen zwei Schlangen. Ich gratulierte mir, dass ich eine halbe Stunde zuvor eingetroffen war. Zwei Schlangen anzutreffen, war aber schon mal schlecht. Ich tendiere dazu, mich bei der Kürzeren anzustellen. Macht meist mehr Freude. Warum aber die beiden Herrschaften, die vor mir eingetroffen waren, das nicht taten, war mir ein kleines Rätsel. Deshalb trat ich nach vorn und entdeckte ein kleines Schild, auf welchem mitgeteilt wurde, man möge sich doch bitte erste in Ticket besorgen. Aha, also doch zuerst zu der längeren Schlange.
Bei solchen Angelegenheiten bin ich immer ein wenig aufgeregt (was nicht so aussehen mag, aber so ist), und mich beschäftigte schon die ganze Zeit die Frage, ob das mit dem Passfoto hinhauen würde, welches 5×5 cm groß sein sollte, aber das Ergebnis von der Passfoto-Macherin sah überhaupt nicht quadratisch aus. Aber sie bestand darauf, dass ihre Fotos für biometrische Pässe geeignet wären und sich die Amerikaner mit dem Ergebnis abzufinden hätte. »Sie können sich das ja zurechtschneiden.« Mir war, in der Schlange vor dem Konsulat stehend, noch nicht ganz klar, ob ich mit der Argumentation durchkommen würde, und ob sich Konsularbeamter und Drogerie-Fachangestellte telefonisch einigen würden, falls es doch zu Diskrepanzen kommen sollte.
Ein ganz anderer Aspekt sollte mir aber Ablenkung verschaffen: Um meines Rucksacks beraubt, hatte ich meine Unterlagen in der Hand. Die bestanden aus den Forumlaren DS-156 und DS-157, einem Brief des Arbeitgebers, einem Brief des US-Unternehmens, welches uns angefordert hatte, meinen Passbildern und einer Kopie meines Gehaltzettels. Natürlich noch der Pass. Verglichen mit den anderen Herrschaften war das recht dürftig. Aktenordner schienen diese zum Generalkonsulat anzuschleppen und wenn nicht dass, hatten sie ihre Unterlagen in hübschen Mäppchen, deren Motive ich nicht erkennen konnte.
Dem ersten Herren, dem man gegenübertritt (wenn man den Kontakt durch eine Scheibe so bezeichnen kann), will nur die ausgefüllten Formular und den Pass sehen. Daraufhin bekommt man eine Ticket-Nummer und kann sich zur zweiten Schlange begeben. Meines hatte die Nummer 062. Nun mussten wir Pass und Ticket-Zettelchen vorweisen und wurden in Vierer-Grüppchen zur Sicherheitskontrolle eingelassen.
Also ich bin ja sicher nicht in bester Form, was sportliche Kondition angeht (vermutliche immer noch eine Übertreibung), aber die Herrschaften von den Sicherheitskontrollen sahen auch nicht gerade so aus, als könnten sie mir hinterherlaufen. Aber das haben sie auch nicht nötig, schließlich kommt man ja freiwillig zu ihnen und zum anderen können sie einen im Zweifel erschießen. Da muss man sich nicht großartig bewegen, sondern nur in eine optimale Position bringen. Was folgte war der Durchtritt durch eine Sicherheitsschleuse, wie man sie von jedem seriösen und was auf sich haltenden Flughafen kennt. Nachdem das Vierer-Grüppchen abgefertigt war, durfte man in das Konsulat eintreten.
Naiv wie ich war, hatte ich mir das wie auf einem deutschen Amt vorgestellt. Einem Amt in ländlicher Gegend versteht sich. Ein Warteraum mit ein paar Holzstühlen und man wird hereingerufen, betritt das Zimmer eines Beamten, breitet seine Unterlagen aus, erklärt sich, bekommt vielleicht noch eine Tasse Kaffee angeboten (die ich hätte ablehnen können, schließlich trinke ich ja keinen Kaffee) und bekommt zwischen einer Reihe von Akten und Zimmerpflanzen das Ergebnis seiner Begehrens mitgeteilt.
Mit einem Raum, der keine 300 Leute aufnehmen darf sondern maximal 299, hatte ich nicht gerechnet. An deren Seiten gab es eine Reihe von Schaltern, wie früher auf den Bahnhöfen. Über den Fenstern hingen kleine Displays, die mit Nummer ausgestattet war. Die Halle war auch recht groß und der Vergleich mit einem Bahnhof hinkt auch an dieser Stelle nicht. Auf der anderen Seite der Schalter gab es noch die Möglichkeit, Fotos zu machen. Die auch genutzt wurde. Waren das die Leute, die an Drogisten geraten waren, die behaupteten, die Konsularbeamten hätten sich mit dem Ergebnis ihrer Fotos abzufinden?
Die folgende dreißig Minuten konnte ich mich damit beschäftigen, zu erkennen, ob es irgendein System gab. Auf einer größereren Tafel standen die aktuellen Aufforderungen in der Form »U340 < 11« usw. und war ein Schalter frei, tönte eine Stimme: »U341 bitte zu Schalter 12«, eine weibliche computergenerierte Stimme, die spätestens nach fünfzehn Minuten anfängt zu nerven. Man versteht die drastischen Sicherheitsmaßnahmen Eingang einmal mehr. Ich hatte nun kein U sondern ein T und nur einmal zwischendurch kam wieder ein T. Das konnte dauern. Dann wurden mal Nummer mit niedrigeren Nummer aufgerufen, dann mit höheren. Irgendwann kam ich dahinter, dass man immer zweimal zum Schalter muss. Erst die Einreichung, dann die Befragung und die Mitteilung des Resultats. Die Reihenfolge, die sich in Nummer 1 gebildet hatte, war später auch die Aufrufreihenfolge. Da gab es keine Ausnahmen. U für normale Visa, T für Arbeitende, die – die Formulierung fand ich putzig – ihre Hände benutzen. (Die Buchstaben mögen sich ändern, kann ich mir aber nicht vorstellen, denn es gab auch noch eine W- und eine D-Schlange - eine Regel werden’s wohl haben und so mag auch U und T für irgendwas stehen, ich weiß nur nicht für was.)
Man soll ja bei diesem Termin unterlagen beibringen, warum man ein US-Visum benötigt, dass man sich finanziell gut steht und dafür, dass man soziale Bindungen in sein Heimatland hat. Nummer 1 war kein Problem, ich hatte ja die Briefe meines Arbeitgebers. Das machte mir keine Sorgen. Nummer 2 war die Kopie des Gehaltszettels, auf dem sich, wenn auch verschlüsselt, mein Familienstatus ablesen lässt (für den Fall, dass ich auf den Formularen DS-156 und DS-157 geflunkert haben sollte). Aber wie weist man soziale Bindungen nach. Da hatte ich nichts vorzuweisen. Meine Vermutung war, dass die Herrschaften mit den dicken Unterlagenmappen ihre kompletten Stammbäume und Referenzen mit sich führten. Das könnte heiter werden. Zumal ich es nicht einmal geschafft hatte, das Formular DS-157 vollständig auszufüllen. Was soll man auf die Frage nach den letzten beiden Arbeitgebern, zu denen aber nicht der aktuelle gehört, antworten, wenn diese sich schon in Wohlgefallen aufgelöst haben? Was ist mit den Schulen, die so nicht mehr existieren? Die Angestellte, die für 1,86 Euro in der Minute Telefonarbeiten für die Botschaft der USA und deren Konsulate übernahm, hatte mir gesagt, einfach frei lassen und dem Konsularbeamten erklären, was es damit auf sich hätte. Der würde dann schon das Passende eintragen.
Es gab also jede Menge Gründe, beunruhigt zu sein: Passfoto in falscher Größe, fehlende Antworten in Unterlagen, dünne Unterlagen, dann noch nicht einmal eine Mappe. Nach einer dreiviertel Stunde war dann meine Nummer dran und ich stiefelte zum Schalter, hinter der eine Frau saß. Diese wollte nur die Unterlagen haben, das Passfoto und natürlich den Pass. Und den Brief vom Arbeitergeber. Dann schaute sie auf und fragte: »Ist das alles?« Ich gab ihr noch die Kopie des Gehaltszettels, aber den gab sie mir zurück, wahrscheinlich weil sie sich den traurigen Anblick aufgrund unserer Steuern und Sozialabgaben nicht antun wollte und meinte, der würde sie nicht interessierten. »Nichts weiter?« fragte sie und ich fragte: »Was benötigen Sie denn?« Worauf ich nur ein Stirnrunzeln in Kombination mit einer hochgezogenen Augenbraue zu sehen bekam. »Wir rufen sie wieder mit der gleichen Nummer auf.« Gefragt hatte sie nichts, ich konnte mich also nicht erklären. Eine Kaffee- und Grünpflanzen-Atmosphäre war nicht aufgekommen.
Nun saß ich vor zwei Schwaben, die wohl auch in der T-Schlange waren und sich darüber beschwerten, dass es so lange dauern würde und sie vier Stunden rechnen würden. Vier Stunden? Ich hatte meinen Zug für zwölf Uhr geplant, bei veranschlagten vier Stunden würde das wohl nichts werden. Ich stellte mir auch vor, was mit Freunden wäre, die freundlicherweise auf das Gepäck warten würden, während man ein Visa beantragt oder sich um andere Einreise-Angelegenheiten im Konsulat kümmern würde. Diese beiden Schwaben nervten mich schon nach kurzer Zeit für zehn Handys und die computergenerierte Aufrufstimme wurde zu einer netten Abwechslung zu Diskussionen über die Wichtigkeit von Down- und Upload-Geschwindigkeiten, die Müllgebühren und AT&T. Ich freute mich für die hinter mir sitzende Person, dass er die Webseite des Telefonanbieters im Internet gefunden hatte, und zollte ihm meinen stillen Respekt dafür, dass es ihm gelungen war, über Google einen amerikanischen Telefonanbieter ausfindig zu machen. Noch mehr freute ich mich aber, als er aufgerufen wurde: Ich musste nicht drei weitere Stunden vor ihm verbringen. Er verbrachte recht lange Zeit an dem Schalter. Kam er schweißgebadet zu seiner Kollegin zurück? Ich weiß es nicht, aber ich hörte ihn berichten, dass die Fragen, die ihm gestellt worden waren, für ihn recht überraschender Natur gewesen seien und sie solle sich überraschen lassen.
Schon nach zwanzig Minuten war ich dran, also die Schwaben waren noch nicht lang weg, da waren meine Unterlagen schon abgearbeitet: Vermutlich waren sie so dürftig gewesen, dass sie so bald durch waren. Die Person hinter dem Schalter war aber sehr nett und freundlich. Seelisch und moralisch hatte ich mich schon abgefunden, die Fragen mit meinem verkrüppelten Englisch zu beantworten, aber sie sprach stellte ihre Fragen auf Deutsch. Die alten Arbeitgeber und mein Schulweg interessierte sie überhaupt nicht. Es wurde gefragt, wie lange ich bliebe und ob ich beabsichtigen würde, mit den Händen zu arbeiten (»Ja, das tue ich.« Wobei ich immer versuche, die Hände nicht zu beschmutzen.) Dann sagte sie nur noch: »Sie bekommen das Visa.« Sehr nett. Das ging dann aber flott.
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