Während der Autofahrt reden wir eigentlich nicht so viel: Ich fahre, Susann kontrolliert und observiert die Gegend auf wilde Tiere. So haben wir schon einiges an wilden Lebensformen (einschließlich Schildkröten, Murmeltieren und einem Rehkitz) gesehen. Irgendwer brachte einmal dieses schöne Wort aus dem Titel auf’s Trapez, was ich einfach zu schön fand und gerade hatten wir Gelegenheit, uns mal wieder schön auszusprechen. Thema: Wie verändere ich mein Leben mit Hilfe von Büchern?
Meine Antwort darauf ist eine ganz klare: Gar nicht. Ich halte es schlicht und ergreifend für Quatsch und jeden Euro (bzw. Dollar), den man für solche Bücher ausgibt, für rausgeschmissenes Geld. Susann hat sich ein Buch über gesunde Ernährung von einem Herren gekauft, der hier in den USA sehr erfolgreich ist. Ich kann ja schon dankbar sein, dass sie nicht die gleiche Angewohnheit hat, wie ich sie habe, der gern aus Büchern vorliest. Endlos und leidenschaftsvoll. Dafür kann ich sehr dankbar sein, ich würde sehr leiden, wenn mir aus Ratgeber-Büchern vorgelesen würde.
Dieser Herr, ein Nummer-1-Mann natürlich, hat also ein Buch mit rotem Umschlag geschrieben, in dem es auch um Gewichtsreduktion geht und der anbringt, dass die Industrie Zusatzstoffe in Lebensmittel tut, die uns Verbraucher anfixen sollen und das Grapefruits sehr gesund sind. Nummer 1 nehme ich einfach mal so hin, das kann ich mir gut vorstellen. Nummer 2 stimme ich vollkommen zu. Blöde nur, wenn man auf Grapefruits allergisch reagiert. So wie Susann. Da hat man von so einem Buch schon mal viel weniger.
Unser Beziehungszwiegespräch drehte sich um Verbrecher als Autoren und über Ratgeber-Bücher im Allgemeinen, wobei ich in letzterem Punkt meine alte Leier fuhr (siehe oben). So kommt es, dass der heutige Bericht etwas verspätet eintrudelte und ich schon fast die Hoffnung verloren hatte, ihn überhaupt noch schreiben zu können. Ist man erst einmal in einem Beziehungszwiegespräch, weiß man zum Einen nie wie es ausgeht und schon gar nicht, wie lange es dauern wird.
Wir sind heute morgen die Blaue Alleen-Kante in Richtung Norden entlang gefahren und haben unser geschätztes Pisgah Inn verlassen. Die Wehmut verging etwas, als wir die Hotelrechnung bezahlt haben, aber das geht mir oft so. Es ist zwar schön, tut aber auch ein wenig weh. Zumindest der Brieftasche. Individual-Urlauber haben es schon nicht leicht. Wir haben zum Teil unsere Zimmer vorgebucht, haben uns aber auch Phasen gelassen, die wir frei gestalten. Im Augenblick befinden wir uns in solch einem Loch. So kann ich zwar sagen, dass ich in einem Hotelzimmer bin, in einem Bett liege und mit Wireless LAN im Internet surfe und schreibe; allerdings weiß ich nicht genau wo.
Das kam so: Wir verließen den Blue Ridge Parkway hinter den Cascade Falls (Wasserfällen, die man wirklich sehen konnte) und wir hatten in unseren TomTom eine Stadt eingegeben, die in Virginia lag. Das war unser Ziel. Ich hatte mir schon gedacht, dass wir Roanoke nicht mehr erreichen würden. Die Stadt, ich kann ihren Namen nicht nennen, weil ich ihn nicht mehr weiß, sollte ein Comfort Suites-Hotel sein. Aber unser TomTom führte uns an einen Punkt der im Nirgendwo lag. Aber da wussten wir wenigstens noch, wo wir sind und konnten zurückfahren. Ich wollte unbedingt ein McDonalds ansteuern, weil in diesem die Hotel-Coupon-Hefte auslagen, aber wenn man einen von diesen Fleischbrätern braucht, dann ist natürlich keiner da. Zu unserem Glück fanden wir natürlich einen und Susann kam mit einem dieser genialen Informationsratgebern (die ich durchaus zulasse) zurück. Wir orientierten uns kurz und fuhren dann unserem Wunsch-Hotel (Welches war es nochmal? Die Meinungen gingen leicht auseinander?) entgegen. An der einen Ausfahrt meinte ich noch »Roanoke klingt ja schon nicht schlecht.«, da waren wir aber schon vorbei, und Susann meinte, »Dann fahren wir halt in die andere Richtung und schauen dann mal.«, was eine außergewöhnlich pragmatische Empfehlung für meine Frau war, sich aber als ausgesprochen schlechter Ratschlag herausstellte. Zwar hatten wir das Glück eine Schildkröte auf der Ausfahrt zu sehen (Was für ein Ort für eine Schildkröte?), aber der Meilenzähler am Autobahn-Rand zählte für unsere Vorstellungen falsch und die nächste Ausfahrt war weit weg. Meine Unbill darüber wurde mit den Worten »Aber wir haben doch die Schildkröte gesehen, ist doch toll!« hinweggefegt. Das war dann der Punkt, an dem der TomTom seine zweite Bewährungschance bekam und uns zu einem Comfort Inn führen sollte. Was er auch tat, uns aber einen Kilometer vor dem Ziel erklärte, wir hätten selbiges erreicht. Es gab nur diese Straße, weshalb wir weiter fuhren. Nun sind wir in einem Hotel dieser Kette, aber wo, ich kann es nicht sagen. Es liegt aber an einer Autobahn und morgen müssen wir Richtung Roanoke zurückfahren.
Noch eine kritische StimmeDer TomTom ist gut, wenn er Ort und Straße kennt. Seine Empfehlungen bezüglich Hotels, Touristenattaktionen und Restaurants lassen sehr zu wünschen übrig.
Zum Abendbrot hatten wir aufgewärmte Pizza, die wir aus dem Pizza Hut in einer Stadt irgendwo in der Walachei, die aber vermutlich noch in North Carolina lag, mitgenommen hatten, die die Portion nicht zu schaffen war. Mais kannten die dort als Zutat auch nicht, dafür konnte ich während des Pizza-Essens Fernsehen gucken. Die Bedienung hatte wohl das einmalige Glück, Deutsche bedienen zu dürfen, was ihr in allzu naher Zukunft nicht wieder passieren dürfte. Es sei denn, sie wechselt in eine Großstadt (oder nach Europa. Andererseits: Deutsche sind eigentlich überall zu finden. Vor uns ist man einfach nicht sicher. Sogar in diesem Hotel waren schon welche gewesen. Aber in diesem Hotel waren auch schon Norweger und so waren wir als Deutsche weniger exotisch, weil wir Deutsche waren, sondern weil wir den Ausführungen des Portiers über Grits folgen konnten). Auf jeden Fall haben wir in diesem Hotel nicht nur einen Kühlschrank sondern auch eine Mikrowelle, dass wir die Pizza vom Nachmittag warm essen konnten. (Ich musste die Mikrowelle nur anschauen, schon bekam ich zu hören: »Eine Mikrowelle kommt mir nichts ins Haus!« Als ob ich mir um so etwas Gedanken machen würde. Aber heute morgen war auch schon zu vernehmen: »Wir müssten auch mal in unserer Küche…«, wobei ich ein Ausreden nicht weiter zuließ, sondern nur meinte: »Mach erstmal das mit Deinem Arbeitszimmer klar.« So kann man auch Zeit schinden.)
Zu den Wasserfällen: Zuerst waren wir bei den Linville Falls, die waren quasi ein Geschenk an mich von mir selbst, da wir so gut durchgekommen waren. Nicht, dass auf dem Parkway sonderlich viel Verkehr herrschte, aber wir hatten bei bequemer Reisegeschwindigkeit ordentlich an Meilen zurückgelegt und so war diese Art von Selbstbelohnung nicht die schlechteste der Belohnungen, die ich mir vorstellen konnte. Die Linville Falls konnte man aus den verschiedensten Perspektiven betrachten. Es gab am Parkeingang die Information, wie weit es zu den einzelnen Aussichtspunkten war und die wurden auch farbig unterschieden. Warum man die Bäume an den Wegen komplett mit blauen Punkten gekennzeichnet hatte, bleibt mir ein Rätsel. Von den grünen, roten und gelben Kennzeichnungen war später nichts mehr zu finden. Auch die Entfernungsangaben, die auf dem Eingangsschild gemacht wurden, ließen Susann sehr zweifeln. Sie mussten von einem beliebigen Punkt aus gemacht worden sein. Hatte sie doch erklärt, dass sie den roten (sprich schwierigen Weg) heute auf keinen Fall machen wollte. Konsequenz: Ich habe sie zu allen Punkten geschleppt und erst zum Schluss gemeint, wir müssten unten noch einmal nachschauen, was denn jetzt welcher Pfad gewesen ist.
Dagegen gab uns das Wort »leisurely« ohne Wörterbuch einige Rätsel auf. Es klang irgendwie nach einfach. War es dann aber nicht. Oder, wir haben immer noch kein Wörterbuch zur Hand und Google Translate gibt nichts her, es ist sehr davon abhängig, wer die Tafeln beschriftet. Die Treppen, zu den Kaskaden-Wasserfällen hatten es ordentlich in sich. Welcher Wasserfall jetzt schöner war, kann ich gar nicht wagen. Aber der, den wir am ersten Tag am Blue Ridge Parkway hatten, der, bei dem man Herumkraxeln konnte, das war für mich der Schönste. Da mochte der Niagara-Fall beeindruckender sein, mit dem Erlebnis konnte er nicht mithalten. Aber mit Wasserfällen hat es sich jetzt erst einmal und Susann muss nicht sagen: »Ach was, schon wieder ein Wasserfall!«
Tanken wie früherMan kann sich hier immer wieder wundern. Man kommt in Städte, die gar nicht so groß auf der Karte aussehen, und steht vor Wolkenkratzern. Andererseits kommt man zu einer Tankstelle an einer viel befahrenen Straße, die zu einer großen Kette gehört, und ist mit einer Tanksäule konfrontiert, die weder Kreditkarten zulässt noch mit einer Digitalanzeige ausgestattet ist. Aber ansonsten state of the art ist, sprich mit Saugrüssel und Übermittlung des Tankergebnisses in den Kassierer-Raum.
Die Freundlichkeit der Amerikaner ist manchmal überwältigend. Während Susann an der Tankstelle es eher mit einer missmutigen Kassiererin zu tun hatte, stand ich draußen neben dem Auto und kratze mir den Kopf. Der vorbeifahrende Autofahrer winkte mir freundlich zu. Entweder dachte er, da er mich in dieser Bewegung sah, er würde mich kennen, ich würde ihn grüßen und er sollte mich zurückgrüßen. Oder es war irgendetwas anderes. Gelacht habe ich trotzdem.
Noch ein Abschluss-Gedanke: Ich glaube, dass man die Großstädte der USA gesehen haben sollte. Die Wolkenkratzer, die Schluchten, die Autobahnen – das sind die Bilder, die uns einfallen, wenn wir von den Vereinigten Staaten hören, sehen und reden. Viel reizvoller sind aber die Nationalparks, die kleinen Städte und die Straßen, die sich endlos hinziehen, und an denen man immer wieder Häuser sieht. Man versteht die Weite und die Mobilität dieses Volkes, wenn man die Mobile Homes, die zahlreichen verlassenen und verfallenen Häuser sieht und die vielen Schilder auf denen »Sale« steht.
Nun, in diesem unbekannten Nirgendwo, werde ich zum Schluss kommen, den Wecker für morgen stellen und dann die Augen schließen. Ein langer, schöner Tag ist zu Ende gegangen.