Als DDR-Bürger hatte man früher mit einigen Merkwürdigkeiten zu tun: Eine davon war, dass man sich, egal aus welcher Richtung man sich dem Zentrum der Republik näherte, nicht der Information entziehen konnte, dass man sich »Berlin – Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik« nähern würde. Den meisten DDR-Bürgern war das andere Berlin vielleicht nicht egal, aber unerreichbar. Den anderen, die von der Informationen partizipieren konnten, wussten welche Stadt Hauptstadt der DDR war und den meisten war der Westteil wahrscheinlich lieber.
Was einem albern vorkam, ist wahrscheinlich auch einen Zeichen von Minderwertigkeitsgefühlen gewesen, die die DDR-Führung hatte. Klar, dass sich die Regierung hier mit solchen Minderwertigkeitskomplexen nicht plagt. Ich habe kein Schild gesehen, auf dem Stand »Washington – Captial of the United States of America«. Dafür ist interessant, dass man sich der Stadt auf grünen Pfaden nähern kann und dabei allerhand schöne Ecken zu sehen kommt.
Zumindest ging es uns heute so, als wir in die Stadt, Autobahnen meidend, einfuhren. Stau gibt es hier an allen Ecken, ganz so, als wollte Washington zeigen, dass es eine Großstadt ist, woran aber kein vernünftiger Mensch Zweifel hegen würde. Drei Flughäfen stehen zur Auswahl, wenn man das Navigationssystem einschaltet und so leben wir auch in diesem Hotel in einer Einflugschneise. Aber dazu später mehr. Erst noch ein kleiner Rückblick…
In Virginia Beach hatten wir uns einen prächtigen Sonnenbrand zugezogen, an dem wir immer noch zerren. So waren wir der Meinung, dass wir den Mittwoch gemäßigter angehen sollten: Zum Einen will man so einen Sonnenbrand ja nicht weiter verschlimmern, zum Anderen hat eine krebsrote Haut auch immer einen gewissen Peinlichkeitsfaktor. So schliefen wir aus und freuten uns, einmal das Zimmermädchen kennenzulernen. Nachdem wir entschieden hatten, dass ein Aquariumbesuch nicht zwingend notwendig wäre und wir das Risiko eingehen könnten, das Auto von seinem Parkplatz zu holen, machten wir uns auf den Weg Richtung Williamsburg. Wir landeten aber nicht in Williamsburg sondern in Yorktown, einem Ort, der zum historischen Triangel der Geburt der Vereinigten Staaten gehört.
Nachdem wir durch ein Städtchen marschiert sind, auf das jeder Amerikaner stolz ist, einem Europäer aber nur ein »nett« abringen kann, weil die Häuser halt hübsch sind, aber so wirklich alt nun auch wieder nicht. Man ist irgendwie anderes gewohnt. Aber hübsch war es denn doch. In der Nähe von Yorktown gab es ein Battlefield, und wir sahen, dass dort eine Menge Amerikaner und ein paar Kanonen rumstanden. Nun ja, wir verließen das reizende Städtchen und fuhren auf dem Colonial Highway in Richtung Jamestown.
Diese Parkways sind eine feine Sache: Mit überschaubarer Geschwindigkeit fährt man an der Zivilisation vorbei. Nette Seen und viel Wald, so lässt sich der Parkway, der auch gut mit dem Fahrrad befahrbar ist (flach und eine breite Straße), beschreiben. Susann hatte mir eine Kilometerzahl nach Jamestown genannt, die mich willig machte, aber in Wirklichkeit dann doch etwas höher lag (»Ach, immer noch vierzehn Kilometer!?«). In Jamestown war viel mehr los als in Yorktown, was sicher nicht unbedingt daran liegt, dass man dort Eintritt bezahlen muss. Soweit ich das verstanden habe, waren die ersten Siedler in der Ecke gelandet und hatten Jamestown (sicher der Name des aktuellen Königs zur Zeit der Abfahrt der Siedler) gegründet. Schon vor dem Eingang tat ich kund, dass ich archäologische Ausgrabungen in der Regel nicht seht interessant finde, worauf Susann mit ihrer Standardantwort für bockige Ehemänner konterte: »Muck nicht rum!« Zehn Dollar pro Nase später fand ich die Gänse, das Reh, die Vögel und eine ganze Reihe von Eichhörnchen viel interessanter, als die Grundrisse irgendwelcher Siedlerhäuser. Eines muss man aber sagen: Die ersten Siedler hatten fast alle Seegrundstücke, ein Luxus, den sich heute nicht jeder leisten kann.
Immerhin können wir jetzt sagen, dass wir die Geburtswiege der USA gesehen haben. Nur unser Herz schlug nicht höher, da müssen wir wohl anderswo hinfahren.
Wir fuhren dann zurück und hörten bei der Rückfahrt nicht auf die netten Anweisungen unserer Navigator-Dame, die uns vorgeschlagen hatten, hinter der Brücke, die nach Virginia Beach führte, abzubiegen und über Land zu fahren. Denn die Autobahn erwies sich als versperrt. Am Tag zuvor hatten wir noch von der HSV-Spur partizipiert, wie ich sie genannt habe (weil sie durch einen Diamanten-Symbol gekennzeichnet war, welches an das HSV-Logo erinnert. So konnte ich Susann erzählen, die Spur wäre nur für HSV-Fans und Bayern München-Fans müssten die reguläre Spur benutzen.), die sogenannte High Occupation Vehicle Lane ist für Autos gedacht, die mit einer höheren Besatzung unterwegs sind. In Virginia Beach war es eine HOV-2-Spur, dass heißt es mussten mindestens zwei Leutchen in einem Auto sitzen, dann konnte man die Spur benutzen, die an erheblichen Stau vorbeiführen kann. Ich dachte mir, dass ist ja eine feine Sache, aber zwei Leute als High Occupation zu bezeichnen ist ziemlich gewagt. Hier in Washigton gibt es HOV-3-Lanes, dass heißt wir hätten die Spur gar nicht benutzen dürfen (was ich natürlich ziemlich doof gefunden hätte). Nun war aber diese Spur gesperrt und wir quälten uns durch einen heftigen Stau.
Den Abend verbrachten wir im Restaurant des Hotels, welches überraschend gut war. Kleine Rückblende: Das Restaurant am Vorabend war eine Sportsbar mit ganz vielen Fernsehern und mächtigen Burgern. Manchmal ist Computerwissen auch im echten Leben sehr hilfreich. Ich hätte mir einen Burger mit zwei Layern nicht bestellt, da ich aus der Fotobearbeitung weiß, dass ich es mit zwei Ebenen zu tun hätte. Zwei Ebenen Fleisch. Mit dem Wissen war Susann nicht gesegnet und bestellte sich so einen Burger, den sie kaum beißen konnte.
Heute ging es dann von Virginia Beach aus in Richtung Washington, aber nicht direkt sondern über Outlet Store. Wir hatten im Internet gelesen, dass es eines der größten und besten sein sollte, welches in Virginia gab und wir können es bestätigen. Der Weg führte uns an Washington vorbei und irgendwann meinte Susann zu mir, dass sie demnächst auf Toilette müsse. Da ich kein Unmensch bin, meinte ich zu ihr, dass wir, sobald es Anzeichen von Restrooms gäbe, wir diese aufsuchen würden. Nun ist es aber nicht so, dass es hier auf den Autobahnen so alle zwanzig, dreißig Kilometer Raststätten mit Toiletten geben würde. Hier gibt es an den Abfahrten Restaurants, aber in diesem speziellen Falle, gemeint in die Umgebung von Washington, war man sehr sperrlich mit Informationen oder es gab einfach keine Gelegenheiten). Dann landeten wir auf einer Bezahlstraße, da gab es mal schon gar keine Informationen mehr und als wir die verließen, nicht ohne vorher noch blechen zu müssen, war das Gesicht von Susann versteinert, aber sie meinte, bis zu den Outlet Stores (noch 30 Kilometer) würde sie es aushalten. Zwei Minuten später wurde der Beschluss ganz im Sinne bundesdeutscher Politik gekippt und meine geliebte Outlet Store-Liebhaberin beschloss, dass es sinnvoll wäre, die nächste Ausfahrt zu nehmen. Wir fuhren also die nächste Ausfahrt heraus und standen dann an einer Kreuzung, die überhaupt keinen Aufschluss gab, wo sich das nächste Toilettenhäuschen befinden würde. Es war ganz klar, dass ich die falsche Richtung wählte. Wir kamen an einem Park & Ride-Parkplatz vorbei und Susann meinte, hier nicht, hier gäbe es keine Toilettenhäuschen. Ich fragte mich zwar, woher sie ihre Gewissheit nehmen würde, aber fuhr gehorsam weiter. Mit Frauen, die unter Druck stehen, zu diskutieren, schien mir nicht ratsam. Blöd nur, dass vierhundert Meter später aus der super-asphaltierten Straße ein Schotterweg wurde, ich anhielt und erklären musste, dass ich nicht glauben würde, dass hier in der Nähe eine Möglichkeit der Notdurfterleichterung bestehen dürfe. Umdrehen! Die Anweisungen wurden knapper. Auf dem Park & Ride-Parkplatz gab es auch keine Gelegenheit, auch nicht die in Erwägung gezogene Freiluft-Erleichterung, da das ganze Gelände eingezäunt wurde. Die nächste Anweisung kam wiederum nicht vom Navigationssystem, welches ja auch immer noch rumplärrte, sondern von meiner leidenden Ehefrau: »Fahr zum Outlet-Store.« Wir fuhren wieder auf die Autobahn und was sahen wir? Ein Bezahlhäuschen.
Was für ein Ärger! Diesmal durfte man nur passend oder mit Kreditkarte bezahlen, was wertvolle Sekunden kostete. Aber dann fuhr ich unter Missachtung jeder Verkehrsregel Richtung Toilettencenter im Outlet Store und hoffte nur, dass kein Unglück geschehe, zumal mir vom Beifahrer-Sitz mit verkniffenen Lippen nur gesagt wurde: »Ich sag nichts mehr!« Ein Satz, den man in vielerlei Hinsicht interpretieren konnte. Gott sei Dank erreichten wir das Outlet-Store rechtzeitig und kurze Zeit später kam mir eine lächelnde Mitreisende entgegen. Das Einkaufen war gegen die aufregende Anfahrt langweilig und wird hier nur mit einem Wort erwähnt: Reichlich Beute gemacht und ein harter Tag für unsere Kreditkarten.
Schön an der englischen Sprache, finde ich, dass man etwas Zeit spendet. Leider muss ich jetzt, nach der Besichtigung weniger Straßenzüge von Washington (wir sind hier in Georgetown), feststellen, dass wir Washington zu wenig Zeit gespendet haben. Aber morgen wird sicher ein absolut wunderbarer Tag werden, über den es gewiss viel zu berichten geben wird.