Man könnte Northville (NY) als großen Irrtum meinerseits betrachten. Wir brauchten eine Unterkunft zwischen Boston und Toronto und der Great Sacandaga Lake bot sich irgendwie an. Northville klang irgendwie nicht schlecht. ich stellte mir eine kleine Stadt vor, ähnlich einem kleinen Ferien- oder Kurort. Genau das richtige für uns als müde Reisende.
Es war doch wesentlich weniger. Noch nicht einmal eine typische Stadt, eher ein größeres Dorf. Einen Chinesen hatte es, einen Supermarkt, eine Schule, gewiss auch mehrere Kirchen. Von »Hier ist was los« aber weit und breit keine Spur.
Den zweiten Irrtum unsererseits hatte ich dann heute Morgen bei Google Earth erkannt, in welchem ich noch einmal nachschaute, während Susann unter der Dusche stand. Stolz waren wir der Meinung, wir hätten den See einmal umrundet. Was wir in den zwei Stunden Fahrt, die wir nach der Umrundung hinter uns hatten, war eine Umrundung des Wurmfortsatzes des Sees. Schön gewiss, aber nur ein Bruchteil dessen, was man hätte sehen können.
Man kam auch nirgendwo an den See so richtig heran, was für mich als See-Liebhaber eine Enttäuschung war. Die Grundstücke an dem See waren von irgendeiner Behörde an irgendwelche Leute lizenziert worden und die verbaten sich natürlich, das betreten ihres lizenzierten Grundstückes. Wahrscheinlich musste man dafür Geld bezahlen und dann will man natürlich zu keiner Jahreszeit irgendwelche Wilden, die mit dem Fotoapparat wild herumknipsen oder gar auf die Idee kommen, die Angel herauszuholen. Andererseits waren die lizenzierten Grundstücke so klein, dass es manchmal schon lustig aussah, wenn an jedem Baum ein solcher Schrieb genagelt war.
Hätte ich noch einmal die Wahl, dann würde ich mich nicht für Northville entscheiden, sondern einen Ort, der an dem See aber auch näher an der Autobahn liegt.
Die Zimmer im Flip Inn in Northville waren schwer in Ordnung. Nicht allzu groß, dafür aber liebevoll eingerichtet. Nachdem wir dort gestern unseren Obolus für die Übernachtung abgedrückt hatten, machte die Dame das Office auch sofort zu und wir sahen sie kurze Zeit später, Mann und ein Sohn im Schlepptau, mit warmen Essen aus einer Restauration in der Nähe wiederkommen. Susann meinte, wenn man böse wäre, könnte man meinen, sie hätten auf unser Geld gewartet.
Das Flip Inn ist mehr ein Motel, und damit das erste Motel, dass ich jemals bewohnt habe. Wenn ich es recht begriffen habe, bedeutet Motel, dass man zum Einen direkt vor der Eingangstüre parken kann (was schon seine Reize hat) und zum Anderen, dass es kein Frühstück gab (was manchmal auch seine Reize hat, bei einem Coffein-Junkie wie Susann aber zu Problemen führen kann). Wir sind heute Morgen zeitig losgefahren, da unser Etappenziel – die Niagara-Fälle – für etwa 13 Uhr anvisiert waren. So zeitig, wie man sich das im Urlaub nur vorstellen kann, waren wir auf der Interstate 90. Alsbald tauchte eine Service Area auf, allerdings klangen die angebotenen Dienstleister nicht so verlockend – Dunkin’ Donuts und McDonalds. Also weiter. Die nächste Service Area lag 17 Meilen entfernt. Das kann sich, wenn man eine Koffein-Abhängige bei sich hat, ganz schön ziehen. Die Dienstleister an dem Ort tönten in unseren Ohren geheimnisvoll unbekannt, wenn man mal von McDonalds absah. Als wir dann in der Raststätte standen, stellten wir fest, dass das eine ein Eisladen war, der auch Muffins anbot und das andere ein stinknormaler Laden war. Ich war für weiterfahren, Susann auch. Aber sie holte sich schnell noch einen Kaffee von McDonalds, um die größten Nöte zu lindern.
Wir fuhren weiter auf der Interstate und an der nächsten Ausfahrt, war ich der Meinung, in der Nähe eine Stadt zu erkennen. Und in der müsste es doch auch ein Frühstücks-Restaurant geben. Wir fuhren aber erst einmal in stadtferne Richtung und mussten umkehren. Als wir umkehrten und die Interstate querten, sahen wir ein großes Schild, auf dem prangte das Wort »Casino«. Einhellig waren wie der Meinung, dass es auch in Casinos Frühstück geben würde und man müsste das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.
Wir also in diesen Komplex hinein, Susann meinte, das wäre einfach nur Schicksal, und wir standen vor diesen Automaten, nicht wissen, wie man diese jetzt füttern könne. Coins sind ja schon seit längerer Zeit out, auch Bargeld mochten die Apparate nicht nehmen. Man müsse sich, wurden wir aufgeklärt, anmelden und bekäme dann eine Karte, auf die man Geld einzahlen könnte. Dabei war eine ID vorzulegen und die Adresse anzugeben. Susann zahlte 20 Dollar ein, ich zahlte 20 Dollar ein.
Wir sind nicht im langläufigen Sinne spielsüchtig. Ich käme zum Beispiel nie auf die Idee, im Internet um Geld zu spielen. Oder in Kiel oder Hamburg ins Kasino zu gehen. Das ist eine Sache, die im Urlaub ihren Platz hat. Und auch nur dort. Meist gehen wir dann mit einem Schein in solchen Laden hinein, und aller meistens gehen wir mit mehreren Scheinen wieder heraus. Wenn wir Glück haben.
Ich mag diese Abarten von den einarmigen Banditen. Einen Hebel hat man ja schon lange nicht mehr, sondern einfach nur einen Knopf. Den kann ich stundenlang drücken. Immer und immer wieder. Ohne groß zu denken. Eine nette Abwechslung zum Job, wenn man so will. Allerdings keine so große Abwechslung, wenn man schon eine Weile auf einer Interstate gefahren ist und noch einige hundert Meilen vor sich hat. Das Geld wurde nicht wirklich weniger. Von den zwanzig Dollar hatte ich immer zwischen 12 und 20 Dollar stehen. Also kein richtiger Verlust, aber auch weit entfernt vom Gewinn. Es ist mir auch zu albern, zurück zum Schalter zu gehen und mir 12 Dollar auszahlen zu lassen, so wie es vielleicht vernünftige Menschen tun würden. Ich nahm meine Karte nach einer Stunde aus diesem Automaten, verabschiedete mich und suchte mir einen anderen Automaten, mit dem erklärten Ziel, meine Karte zu leeren. Das sollte mir, Gott sei Dank, nicht gelingen. Acht- oder neunmal hatte ich gedrückt, da fing der Automat plötzlich an schnell hoch zu zählen und meinte, er die Karte hätte jetzt einen Wert von 511 Dollar.
Da ich zuerst der Meinung war, dass es vielleicht ein Irrtum wäre und er irgendwelche obskuren Punkte gut geschrieben hätte, nahm ich die Karte aus dem selbigen, verabschiedete mich vorsichtig von ihm, und bin auf die Suche nach Susann gegangen. Ich setzte mich den Automaten daneben, schob meine Karte hinein und meinte nur: »Ich muss mal was probieren…« und siehe da, als Guthaben wurden die 511 Euro angezeigt. »Wir können gehen!« Was wir dann auch taten, nachdem wir in dem Komplex noch einen Bagel verspeist hatten.
Weiter ging es – mit leichter Verspätung – in Richtung Buffalo/Niagara Falls. Dort kamen wir gegen etwa drei Uhr nachmittags an. Es hieß, wahrscheinlich kann man es auch nachlesen, dass die Niagara-Fälle von kanadischer Seite aus schöner wären. Dem würde ich zu 51% zustimmen. Das ist knapp, nicht wahr? Da wir nun von der US-Seite kamen, haben wir uns natürlich beide Seiten angeschaut. Auf der US-Seite hat man parkähnliche, sehr gepflegte Anlagen. Man steht aber, wenn man es genau nimmt, hinter den Niagara-Fällen, man kann sehen, wie sie sich entwickeln und sieht dann das Wasser fallen. Wer den Wasserfall frontal sehen will, der muss aber auf die andere, kanadische Seite rüber fahren oder -gehen.
Wer fährt, hier ein Tipp: Nicht gleich an der Straße zu den Niagara-Fällen abbiegen und sein Auto dort parken wollen. Das geht, aber ein Parkplatz kostet dann etwa 18 Dollar. Was ein unverschämter, an Bostoner Verhältnisse heranreichender Preis ist. Es gibt keinen Grund, dem Auto einen so schönen Ausblick zu gewähren. Es mag etwas anderes sein, wenn man – wie es heute viele Kanadier taten, da hier heute Feiertag war – in der Früh kommt und dann den ganzen Tag an dem Wasserfall verbringt (Picknick und Grillen und so). Wenn man aber auf den späten Nachmittag dort ankommt, lohnt das definitiv nicht. Fährt man ein wenig weiter, findet man Parkplätze, auf denen das Parken nur sieben oder acht Dollar kostet und man hat es auch nicht so weit zu den Fällen.
Der Anblick der Wasserfälle ist natürlich überwältigend. Auf der kanadischen Seite tummeln sich viel mehr Leute, aus aller Herren Länder und die ganze Atmosphäre hat etwas von einem Volksfest. Keine Idee wird hier an einen Park verschwendet. Hinter der Straße der Niagara-Fälle ragen die Hoteltürme auf, die Zimmer mit Blick auf die Niagara-Fälle versprechen. Man kann auf beiden Seiten mit einen Lift nach unten fahren, und in Regencapes und Extra-Sandalen die Wasserfälle von unten betrachten. Was wir nicht getan haben. Von kanadischer Seite aus legen Schiffe ab, die bis an die Wasserfälle heranfahren, was wir denn auch nicht getan haben.
Ansonsten ist Niagara Fall auf der kanadischen Seite eine Vergnügungsstadt, in der man viel Geld für Essen, Gifts und anderen Vergnügungsschnickschnack lassen kann. Was wir auch taten. Geld gewinnt, Geld verliert man.
Gegen neunzehn Uhr sind wir dann in Richtung Toronto.
Reist man nach Kanada ein, wird man gefragt, ob man Waffen mit dabei hätte. Haben wir natürlich wahrheitsgemäß verneint. Man denkt sich so: »Wie nett, die Kanadier! Haben es nicht so mit Waffen! Sehr sympathisch.« Das relativiert sich, sobald man auf der Autobahn fährt: Die US-Amerikaner mögen Waffen haben, die Kanadier haben ihre Autos und verwenden sie offenbar so, wie die Amerikaner hin und wieder ihre Waffen verwenden oder wie sie ihre Waffen im Notfall verwenden. Wobei ich auf der Autobahn keine Notfälle entdecken konnten. Von dem ruhigen und entspannten Fahrstil in den USA, auch in Großstädten wie Boston oder Atlanta, die wir kennengelernt haben, war hier nicht mehr viel zu spüren.
Wir landeten hinter Niagara Falls auch gleich im Stau und ließen unseren Tom Tom eine Umleitung errechnen. Die führte uns dann durch eine Kulturlandschaft, die wir hier gar nicht erwartet hatten: ein Weinanbaugebiet. Also ein Muss in den nächsten Tagen: Kanadischen Wein probieren. Ich hoffe die Kunst der Weinproduktion ist höher entwickelt als die des Autofahrens.
Eines Vergehens haben wir uns wohl auch noch schuldig gemacht und die Quittung wird später kommen. Wir haben uns kanadische Dollars geholt, da der Tom Tom (der übrigens kurz vor Toronto einen dramatischen Totalausfall hatte und dem nur noch ein Hardware-Reset half, eine hässliche Angelegenheit, die wir schon zwei-, dreimal beobachtet hatten, aber nie auf so drastische Weise und auch nie zu einem so ungünstigen Zeitpunkt) uns erzählt hatte, wir würden über mautpflichte Straßen fahren. Wir befuhren also guten Gewissens die mautpflichtige Straße und hatten unsere Kanada-Dollars auch schon gezückt. Aber von einem Mauthäuschen keine Spur. So fuhren wir Kilometer um Kilometer und hatten keine Gelegenheit, unser Geld loszuwerden.
Wichtig ist erst einmal, dass wir angekommen sind.