Je weiter man in den Süden kommt, umso größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass man in einer Buchhandlung auf Anhieb auf einen Heinrich-Steinfest-Roman stößt. Hier bei uns im Norden, so habe ich festgestellt, ist die Situation ein wenig trauriger. Die Wahrscheinlichkeit tendiert gegen Null. Man mag den Buchhändlern zurufen: »Besinnt Euch, nehmt ihn auf!«, und dem lesenden Volk nur den Befehl geben »Lest!«. Beide Ansinnen sind natürlich fern jeder Realität.
Aber das sind die Geschichten von Steinfest ja auch auch, und der Roman »Der Umfang der Hölle« ist da keine Ausnahme. Über lange Strecken ergeht sich der Schriftsteller in Beschreibungen, auch häufig der Umgebung und dessen, was seine Protagonisten gerade denken. Mir wurde dabei nie langweilig, denn die Sprache Steinfests ist nicht nur elegant und wirkt geschliffen, sondern allein aus ihr ergibt sich Witz und nicht nur aus Situationen, die sie beschreiben. Das, finde ich, ist ziemlich einmalig im deutschen Sprachraum.
Leo Reisiger hatte es geschafft: Sein Lottoschein war der perfekte gewesen. Nicht unbedingt, was die Symmetrie seiner Zahlenfolge anging. Vielmehr hatte er einfach die richtigen Zahlen getippt und er war ein reicher Mann. Bevor er zu dem Treffen mit einem Geschäftspartner aufbrach, machte er sich daran und verbrannte den perfekten, richtigen Lottoschein. Es ging ihm um das Gewinnen, nicht um das Geld. Eine Verhaltensweise, die der normale Mensch sicher nicht nachvollziehen kann.
Kurz darauf geht Leo Reisiger in einer ganz normalen Einkaufspassage spazieren und beobachtet, wie mehrere Jugendlich zwei Frauen belästigen. Ohne sich weitere Gedanken zu machen und ganz gegen sein Naturell, macht sich Reisiger daran, den beiden Damen zu helfen. Er hätte natürlich zum Handy greifen können und die Polizei rufen können, oder in einem der anliegenden Geschäfte Hilfe suchen können, aber vielleicht geht Reisiger davon aus, dass man als Lottogewinn das Glück gepachtet hat, und greift persönlich in das Geschehen ein.
Was man als dumm ansehen kann, wenn man was Gewalt angeht, nicht sonderlich geschickt ist oder Erfahrungen hat. Noch dümmer ist es natürlich, wenn die Angreifer gut bewaffnet sind, man selbst aber ohne etwas in der Hand den unangenehmen Leuten entgegentritt. Aber Reisiger hat Glück und er entgeht größeren Blessuren. Was man von den Angreifern nicht sagen kann. Auf Geschicklichkeit Reisigers indes ist das nicht zurückzuführen. Ich würde sagen, es war pures Glück.
Aber Lottogewinn und böse Schlägerei zu überleben ist so eine Sache, und das Glück des Herrn Reisiger hat sich damit auch erledigt. Die Dame, die er gerettet hatte, war eine berühmte Sängerin und ihr Mann, Siem Bobeck, ein berühmter Verhaltensforscher, der sich verpflichtet sieht, Reisiger einzuladen. Die Party steht aber unter keinem guten Stern und sollte ein turbulentes Ende nehmen »Umfang der Hölle«, eigentlich nur ein putziger Buchtitel, sollte sich für Reisiger zum Programm entwickeln.