… als Zeit haben. Ich bin eigentlich seit Uhrzeiten SPIEGEL. Angefangen hatte es mit dem STERN, aber der war mir dann doch etwas seicht. Also sind es jetzt schon über fünfzehn Jahre SPIEGEL. Der hat Entwicklungen gemacht. Ist bunter geworden, wartet mit mehr Grafiken auf. Das sind eigentlich Punkte, die mir ganz entgegen kommen.
In den letzten Jahren ist mir etwas beim SPIEGEL abhanden gekommen. Ich lese ihn immer noch, aber er spielt montags nicht mehr die Rolle, die er spielte. Natürlich habe auch ich mich geändert. Der SPIEGEL kommt bei uns im Abo. Ich habe ihn also nicht am Montag, sondern manchmal erst am Freitag abend, wenn ich von der Dienstreise zurückkomme. Da ist schon viel passiert, manches nicht mehr aktuell, manche Meldung schon dementiert und dann doch bestätigt worden. Aber das ist es nicht allein, denn selbst wenn ich ihn montags aus dem Briefkasten hole, holt er mich nicht von den Socken. Sprich, ich lasse mich nicht mehr auf der Couch nieder und studiere den SPIEGEL. Ich will mal schlussfolgern: Ich habe mich geändert, aber der SPIEGEL auch. Die Sprache, früher sehr lakonisch, ist heute eine andere. War er früher linksliberal und damit auf einer Linie mit mir, habe ich heute keine Ahnung, wo der SPIEGEL steht. Wahrscheinlich weiß er es selber nicht einmal. Die Gerichtsreportagen sind immer noch großartig, aber nur deswegen SPIEGEL lesen?
Wenn man mehr wissen will, gibt es auch andere Wege. Einer davon flatterte mir neulich ins Haus. Das kam so: Ich »musste« mir eine Prämie aussuchen und die Prämie hieß ein Halbjahresabo »ZEIT«. Die habe ich bisher nur im Urlaub gelesen. Meist an französischen Urlaubsorten, wo die Tageszeitung aus Deutschland sowieso ein Tag später eintrafen. Da saß ich im Liegestuhl, am Strand, wo auch immer und genoss es Zeit zu haben und ZEIT zu lesen.
Kommt sie allerdings jede Woche ins Haus, und ich habe den Termin bewusst auf die trübe Zeit des Herbstes und Winters gelegt, dann ist es was ganz anderes. Es bedeutet Stress. Ich glaube, die SPIEGEL-Macher werden des nicht so gern lesen, aber der SPIEGEL liegt bei uns wochenlang auf Toilette rum. Er ist handlich und gut zu lesen. Es käme mir in den Sinn, mit der ZEIT auf Klo zu gehen. Täte ich wahrscheinlich liebend gern, aber dafür ist es einfach ein zu unhandliches Format. Es ist auch verdammt schwierig die ZEIT auf der Couch liegend zu lesen, oder im Zug oder im Flugzeug (obwohl ich das schon ein paarmal zustande brachte, denn die FAZ ist ja auch so ein übles Format-Kaliber). Die ZEIT wird also auf der Terrasse oder am Wohnzimmer-Tisch gelesen.
Dafür muss ich mir wirklich Zeit nehmen. Denn es ist eine große Seite, auf der sich viel Text verteilt. Natürlich auch Werbung, aber die Textmenge in der Zeitung ist doch erheblich. Was mich noch mehr erstaunt, wo ich doch Dauertester bin, sind die Texte. Sie sind sehr gut lesbar, spiegeln nicht nur Fakten wieder, sondern die ZEIT-Schreiber vertreten auch Meinungen. Die sind nicht immer bequem und können, wenn auf einer Seite mehrere Artikel zu einem Thema zu finden sind, sehr kontrovers zueinander stehen, aber gerade unterschiedliche Standpunkte zu lesen macht enormen Spaß.
Ich dachte mir, es wäre ein Versuch, die ZEIT zu lesen. Mittlerweile bin ich soweit, dass ich überlege, ob ich den SPIEGEL nicht aus meinen Abo-Pflichten entlasse. Die Gerichtsreportagen sind ja schön und gut. Aber was ist denn der liebe Rest des SPIEGELs gegen einen Artikel von Harry Rowohlt oder die kleinen Klugscheißereien unter »Stimmts«?
Ich bin jetzt bis zum Frühjahr ZEIT-Leser und habe umso weniger von selbiger…