Dass Tempe Brennan sich regelmäßig in Gefahr bringt, bin ich ja schon gewöhnt. Vermutlich wären die Bücher auch ohne diese dramatische Komponente spannend. Nehmen wir es mal als persönliche Note von Kathy Reichs, denn ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass das Leben von Gerichtsanthropologen so gefährlich ist. In der Geschichte um die nicht lügenden Toten ist Tempe Brennan einem Serienmörder auf der Spur.
Die Arbeitstage von Tempe könnten so befriedigend sein, wenn nicht ständig eine Leiche Stress machen würde. Die Anthropologin war mit den Gedanken schon im Wochenende. Da kam ihr ein Anruf dazwischen. Die Stelle, an der Knochen gefunden worden waren, war für Knochenfunde bekannt. Es gab zahllose Stellen in der Stadt, an der man auf Spuren alter Friedhöfe stieß oder unsere Vorfahren ihre Spuren hinterließen, auch zu einer Zeit, in der es noch keine Friedshofsgebühren-Ordnungen gab, sorgte man sich um die Verstorbenen. Wäre der Fund eine Hinterlassenschaft aus fernen vergangenen Zeiten, so konnte Tempe beruhigt ins Wochenende gehen. Ein zweiter Hoffnungsschimmer waren Tierknochen. Es ging in Ordnung, dass die »Finder« Tier- von Menschen-Knochen nicht unterscheiden konnten. Der Papierkram, den man damit hatte, war wesentlich geringer und das Wochenende wurde nicht gefährdet.
Aber es wäre kein Krimi, wenn Tempe Brennan Tierknochen gefunden hätten. Das Wochenende konnte sie ruhig ad acta legen und sich daran machen, Gedanken um den Mord zu machen.
Die Morde, besser gesagt, denn Brennan ist eine ungeduldige Frau, die gern eins und eins zusammenzählt. Polizisten tun das ihrer Erfahrung nicht so gern. Sie denken in ihrem Revier. In meinem Revier, so denkt sich wohl so ein kanadischer Polizist, ist so etwas bisher noch nicht passiert. Und wenn in meinem Revier so etwas passiert ist, so muss ich dem Nachbar-Dorfpolizisten nicht Bescheid geben, wenn in seinem Revier ähnliches passiert. Nein, ein Tellerrand ist nicht dazu da, über ihn hinauszuschauen.
Da muss, um bei der Analogie zu bleiben, erst eine Tempe Brennan kommen, und den Löffel durch die Suppe rühren, so dass es ordentlich schwappt. Und wenn etwas schwappt, dann ist das Geschrei groß. Tempe Brennan wird nicht anerkennend auf die Schulter geklopft und gesagt, ja es wäre möglich, dass wir es mit einem Serienmörder zu tun hätten. Im Gegenteil: Man versucht sie ruhig zu stellen.
Hier gibt es einen kleinen Bruch zu verzeichnen: Denn hat ein Polizist es sich in den Kopf gesetzt, einen Außenstehenden ruhig zu stellen, so gelingt es ihm auch. Die kanadischen Polizisten beherrschen dieses Vorgehen, das weltweit praktiziert wird, entweder nicht, oder sie sind Schlappschwänze. Zumindest in literarischer Hinsicht, denn da ich noch nicht in Kanada gewesen bin, werde ich mich hüten, es über diese Perspektive hinaus zu beurteilen. Diese kanadischen Schlappschwanz-Polizisten haben also plötzlich Tempe Brennan mit im Boot und die tut natürlich nicht das, was man als vernunftbegabter Hospitant tut, sondern mischt ordentlich mit.
Daraus resultieren dann eine Reihe von Problemen: Zum Beispiel das, dass sie plötzlich im Visier eines Serienmörders ist. Dumm nur, dass der Serienmörder sie wesentlich genauer im Visier hat, als sie den Serienmörder.
Jetzt bin ich fast soweit, mir das Ganze mal in »echt« anzuschauen und bei unserem nächsten USA-Trip mal in Montreal vorbeizuschneien. (Wobei letzteres nicht wortwörtlich zu nehmen ist und völlig unspektakulär werden wird, zumindest was Verbrechensbekämpfung angehen wird.)
Es gibt noch eine zweite Ebene bei dieser Geschichte: Eine Freundin und alte Studienkollegin von Tempe Brennan studiert das Rotlicht-Milieu. Das dies kein einfacher Job für eine Frau ist, versteht sich von selbst. Aber sie ist resolut und scheut nicht vor unangenehmen Begegnungen zurück. Unheimlich wird es, als ein Mitglieder Szene anfängt, ihr nachzustellen. Die Freundin findet keine andere Möglichkeit, sie ruft Tempe Brennan um Hilfe. Keine gute Idee, steht es doch um Tempe selbst nicht zum Besten: Das Spannungsfeld ihrer anthropologischen Arbeit und den Ermittlungsarbeit einer Reihe von Machos macht ihr sehr zu schaffen.