Terra Gallus

Arnaldur Indridason – »Todeshauch«

»Och«, dachte ich mir, »einen Krimi aus Island haste ja auch noch nicht gelesen.« So griff ich bei der geschätzten Süddeutschen Krimibibliothek zu und kam zu einem ziemlich ungewöhnlichen Kriminalroman. Ungewöhnlich, mag sich mancher fragen. Durchaus, meine ich, denn ich finde ihn anders, sehr viel ruhiger aufgebaut. Nehmen wir Grangé mit seinen purpurnen Flüssen – das ist »Miami Vice«, »Todeshauch« von Indridason, der sich übrigens mit einem ganz anderem »d« schreibt, als hier abgebildet, läuft dann unter »Ein Fall für zwei«.

Das Buch ungewöhnlich ruhig, fast schon behäbig in seiner Geschwindigkeit. Das mag natürlich auch daran liegen, dass man keine frische Leiche findet, sondern dass bei Ausschachtungsarbeiten für ein Haus, Knochen gefunden werden. Eine erste Analyse zeigt, dass das Skelett dort schon fünfzig Jahre gelegen hat, mindestens – durchaus auch möglich, dass es mehr waren.

Ein Dreier-Team kümmert sich um die Aufklärung. Das keine besondere Eile geboten ist, wird den Ermittlern also schon am Anfang klar. Eigentlich praktisch, denn zwei von den drei Ermittlern machen kleinere private Krisen durch. Erlendur beispielsweise kämpft mit den Nachwehen seiner Entscheidung, seine Familie zu verlassen. Immerhin schon viele Jahre her. Aber seine Tochter stand irgendwann vor der Tür und sie beschäftigten sich hauptsächlich damit, sich gegenseitig anzugiften. Nun bekommt er, während er bei dem Skelett steht, einen Anruf von Eva Lindt, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Er findet sie, bewusstlos in einem Park vor dem Entbindungsheim.

Sigurdur Ólis Probleme machen sind dagegen fast zu schön. Er macht sich schwer Gedanken darüber, warum seine Freundin so sexbesessen ist. Dass es keine gute Idee war, mit seiner kinder- und familienskeptischen Haltung, sie zu fragen, ob sie denn unbedingt ein Kind wolle, merkt er zu spät und sinniert darüber den ganzen Fall über, einem Fall, in dem es viel um Liebe geht.

Allerdings nicht nur, wie man alsbald merkt, denn Indridason arbeitet viel mit Einblendungen, und in diesen wird die Geschichte von einem Paar und ihren Kindern erzählt, die alles andere als herzallerliebst ist. Gewalt in der Familie wird es heute genannt. Er prügelt seine Frau, ohne den geringsten Grund zu haben, ohne es sich vorher anmerken zu lassen. Es muss keinen Anlass geben, bald wird klar, dass eine Gewalt nur dem Machterhalt innerhalb der Beziehung dient. So sind seine Frau und seine Kinder ständig auf der Hut vor ihm, stellen sich schützend vor die Tochter, die behindert ist. Zweimal versuchte die Frau mit ihren Kindern zu fliehen, beide Mal folgte er ihnen auf dem Fuße, holte sie zurück und verschärfte das Regime.

Man kann schon ahnen, wer dort im Grab liegt, wird aber von einer zweiten Geschichte überrascht. Denn schon früher stand dort ein Haus, welches aber vor langer Zeit abgerissen wurde. Der Mann hatte sein Interesse an dem Haus verloren, als seine Verlobte »ins Wasser ging«. Der Mann war am Boden zerstört, bekam nichts mehr auf die Reihe und trauerte sein ganzes Leben lang seiner Verlobten hinterher. Wenn, und das war ein Verdacht der Ermittler, in dem Loch allerdings seine Verlobte zu finden war, dann müsste man die Geschichte des Mannes neu schreiben.

Hätte das Team um Erlendur einen flott arbeitenden Anthropologen, dann hätten wir als Leser die Antwort schon auf Seite fünfzig erfahren. Sollte aber nicht sein: Erlendur bekam einen Archäologen, der sehr gründlich arbeitete, der Schriftsteller die Möglichkeit, seine Geschichte zu entwickeln und der Leser einen spannenden Roman. So hatte jeder was davon.

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