Manchmal hat man den Eindruck, Magnan wären die Menschen gar nicht wichtig. In langen Passagen schildert er, wie sich Bäume bewegen, was für einen Eindruck Berge machen, wie der Wind über die Landschaft streicht. Aber den Eindruck hat man nur ganz kurz, denn dann folgen Geschichten von Menschen, die ausführlich und fantasiereich erzählt werden. Mit viel Humor, mit vielen Wendungen und doch irgenwie alltäglich. Diese Geschichten waren es meist, die zu einem Verbrechen in der Gegenwart führten hatten. Um die kümmert sich dann Laviolette. Warum sollte das in diesem Buch anders sein?
Es gibt schon Unterschiede zu den früheren Laviolette-Romanen. Der Kommissar war in den Ruhestand gegangen und musste sich nun nicht mehr mit Institutionen herumschlagen. Er hatte sich ein Haus gekauft, das mit einem Verbrechen verbunden ist, das er aufgeklärt hatte. Hatte sich mit vielen Katzen umgeben, die er hegte und pflegte und manchmal machte er eine Spritztour mit seinem alten Auto. Eigentlich war Laviolette sehr zufrieden.
Weniger zufrieden waren zwei Männer ein paar Kilometer weiter. Der eine schauffelte sich sein Grab, der andere schrieb Briefe. Pencenat hatte zu Hause nicht zu lachen, seine Frau Prudence setzte ihm gehörig zu. Daher hatte er sich in den Kopf gesetzt, dass, wenn es für ihn schon nicht das Paradies auf Erden gab, er doch bitte schön im Grab das Paradies erleben sollte. Nein, der Penecat glaubte nicht an den Himmel, er glaubte nur an ein schönes Grab. So hatte er bei der Gemeindevertretung durchgesetzt, dass er sein eigenes Grab schaufeln durfte – wenn er sich dafür auch um den Rest des Friedhofs kümmerte. Er malte sich sein Grab in den fantastischsten Farben aus. Jeder man braucht ein Hobby.
Briefe zu verfassen, in der schönsten Handschrift, die man sich vorstellen kann, um sie dann in einen Zierbriefkasten am Friedhof zu stecken, ist auch so ein Hobby. Der zweite Mann machte das. Briefe, die dann Pencenat fand. Der ehemalige Briefträger, in dem immer noch das Herz eines Postbeamten schlug, konnte es nicht mit ansehen, dass da ein herrenloser, unfrankierter Brief auf dem Boden lag. Andererseits brachte ihm das auch gehörige Probleme. Wem sollte er Briefe schreiben? Was wenn seine Frau dahinterkam? Er schlich sich zum Postamt, ließ sich eine Briefmarke geben und steckte den Brief in den Briefkasten. Dort wurde er gleich von der Postbeamten herausgefischt, die wissen wollte, an wen denn der ehemalige Kollege geschrieben hatte. Sie wurde sehr überrascht. Auch von der schönen Handschrift, die sie ihrem Kollegen gar nicht zutraute.
Einige Zeit später bekam die Adressatin des Briefes Besuch. Ein Mann schlich über den Dachboden, durchstöberte alles. Véronique Champourcieux, die Adressatin und Besitzerin eines riesigen Hauses, ist beunruhigt, wollte sich aber nichts anmerken lassen. Statt ihren Besitzt erst einmal sausen zu lassen und zur Polizei zu marschieren, klimperte sie weiterhin auf dem Klavier und wurde schlussendlich mit einem Bajonett erstochen. Nach diesem Mord stand der alte Freund Laviolettes Chabrand, der Richter, in der Tür und bat den ehemaligen Kommissar, doch einen Blick auf den Tatort zu werfen. Der kam an den Tatort und war sofort völlig hingerissen. Von dem Dachboden, von den Umständen, der Mordwaffe und irgendwie auch von dem Mordopfer, dass er hin und wieder in der Stadt gesehen hatte.
Véronique war etwas über vierzig Jahre alt geworden und lebte allein. Ein Mann hatte es in ihrem Leben nie gegeben. Nun war sie ermordet worden und das einzige Indiz, dass Laviolette und Chabrand finden ist ein Brief, der eine außergewöhnlich schöne Handschrift aufwies und nur mit den Zeilen: Mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemesen werden. Der Brief wie jede Menge Fingerabdrücke aus, erdige darunter, und stammte aus Barles – einer Stadt in der Nähe von Digne.
Während die Herrschaften noch sinnierten, was es denn mit dem Brief auf sich haben könnte, und wer der Jungfrau Véronique so Übles antat, ist schon der nächste Brief unterwegs.
Ein typischer Magnan-Krimi, ein untypischer Laviolette-Krimi. Letzteres liegt natürlich daran, dass der Kommissar im Ruhestand ist – also ein Ex-Kommissar darstellt. Er geht nicht den Fakten nach, sondern den Gefühlen und sein Freund Chabrand, der sich dem puren Fakten verschrieben hat, kann sich mit der Vorgehensweise nicht anfreunden. Laviolette treibt sein Gefühl in die Vergangenheit, denn die Opfer des Mörders mit der schönen Handschrift stammen aus einer Familie und so weiß Laviolette, wer die nächsten Opfer sein werden – allerdings ohne die Chance, irgendetwas dagegen unternehmen zu können. Die Lösung der Geschichte liegt in der Vergangenheit und so wird aus dem Krimi eine Geschichtsstunde, die genauso farbig und trist erzählt wird, wie die Vergangenheit damals war. Eine Geschichte von Männern, die sich ihren Frauen unterzuordnen hatten, Frauen, denen es nur um das Geld ging. Die Geschichte auch von einem Mann, der sich auf sehr skurile Weise schon zu Lebzeiten rächte.
Die Geschichten Magnans stehen für mich auf einer Stufe mit den fantasiereichen Geschichten von Fred Vargas. Beide agieren mit Figuren, die irgendwie komisch sind und nicht von dieser Welt scheinen. Auch Fred Vargas verliert sich gern in Geschichten aus der Vergangenheit, auch wenn nicht so betont wie Magnans, bei dem man das Gefühl hat, er erzählt Märchen und verlässt den Krimi ganz und gar. Bei Magnan werden auch die Nebenfigur sehr detailliert und liebevoll gezeichnet, auch wenn schon ziemlich früh dem Leser klar gemacht wird, dass dieser odere jener die Geschichte überleben würde und auch nicht der Täter ist.
Interessant finde ich übrigens auch, dass man eine halbe Ewigkeit auf einen neuen Laviolette-Roman warten musste und dieser dann nicht, wie in der Vergangenheit als Hardcover veröffentlicht wird, sondern jetzt als Taschenbuch heraus gekommen ist. Ich will mich darüber aber nicht beklagen. Der Roman ist auch schon ein paar Jahre alt (1986), so dass das recht und billig ist. Es lässt mich aber auf mehr hoffen.