Eines steht ja fest, und das mag bitter sein: An unserem Ende steht der Tod. Aus der Nummer kommen wir nicht raus, nun ist die Frage, wie wir das dazwischen meistern. Manche haben damit erheblich Probleme und kommen in Konflikt mit dem Gesetz, wie es so schön heißt. Nun habe ich keine Ahnung, was schlimmer ist: Gefängnis oder Maßregelvollzug.

Vermutlich ist es gleich. Der Maßregelvollzug dient dazu Straftäter zu therapieren. Therapiert wird, wer zum Zeitpunkt seiner Tat unzurechnungsfähig ist. Wer vor und nach einer Tat unzurechnungsfähig ist, während der Tat aber bei Sinnen ist, hat Pech gehabt: Er kommt ins Gefängnis und bleibt, wenn er Pech hat, völlig untherapiert. Bleibt allein mit seiner Störung. Kommt irgendwann raus und begeht das nächste Verbrechen, woraufhin man ihn dann in den Maßregelvollzug steckt.

Um diese Zusammenhänge zu begreifen, lohnt es sich, das Gespräch mit Guntram Knecht, dem Chef des Maßregelvollzugs in Hamburg, zu lesen, welches er dem SPIEGEL gab. Dann merkt man, wie paradox unser System ist. Wie sehr unser System schon in den Populismus abgedriftet ist. Die Gesetze werden bei jeder Gelegenheit verschärft, unser Vollzugssystem ist aber völlig unterfinanziert. Gegenüber Anregungen von Experten zeigen sich die Politiker immun. Im Zweifel ist die Wählerstimme wichtiger als der Verstand. Fein!

Vielleicht ist nicht klar, wo es hinführt. Wir werden auf diesem Weg dem Täter nicht gerecht. Egal, könnte man sagen, ist ja nur ein Verbrecher. Aber Folge dessen: Wir werden auch dem Opfer nicht gerecht und im schlimmsten Fall führt der Weg zu neuen Opfern. Es entwickelt sich eine Schleife. Wird ein Täter wieder straffällig, fällt den Politikern nur eines ein: Gesetze verschärfen. (Das erinnert an die Kindererziehung von ungehörigen Kindern: Erst gibt es Fernsehverbot, dann darf man nicht mehr raus, dann wird das Taschengeld gestrichen – und plötzlich, wenn wieder etwas vorfällt, sind die Eltern ratlos und wissen nicht, wie jetzt weiter. Wie soll man denn noch bestrafen? Die Ursachen hat man aber keine Sekunde betrachtet.)

Besser gefällt mir ja noch Folgendes: Diese Leute sollen weggesperrt werden. Soll dann ein Krankenhaus gebaut werden, gründen sich gleich Bürgerinitiativen und versuchen mit allen Mitteln, den Bau zu verhindern. Aha. Na, wir fliegen ja auch alle gern in den Urlaub, aber der Flughafen, in dessen Nähe wir uns angesiedelt haben, der soll nicht ausgebaut werden. Wasch mich, aber mach’ mich nicht nass! Sperr die Täter weg, aber weit weg von mir. Es ist so eine Art kollektiver Egoismus.

Und dann die ewige Frage: Wie konnte es sein, dass dieser oder jener entlassen wurde? Wer hat ihn begutachtet? So einen kann man doch nicht freilassen? Nun könnte man platt sagen: Männer haben schon große Schwierigkeiten, Frauen zu verstehen (umgekehrt wohl auch), wie viel schwieriger mag es da sein, einen gestörten Menschen zu verstehen? Knecht dazu im SPIEGEL:

Sexualtäter haben ein Rückfallrisiko von 20 Prozent. Unsere Prognosen stimmen in drei Vierteln der Fälle – eigentlich sind wir besser, aber nehmen wir für eine kleine Modellrechnung diese Zahl einmal an. Dann würde man von 100 Patienten 65 entlassen. Bei 5 davon hätte man sich geirrt, sie würden wieder rückfällig. Sind 5 von 65 viel? Oder wenig? Das kann ich als Fachmann nicht beurteilen, das muss die Gesellschaft sagen. Wenn die Gesellschaft sagt, es dürfe nur einen einzigen Rückfall bei 100 Patienten geben, dann würden wir von diesen 100 nur 13 entlassen. 87 Menschen blieben also auf immer drin, auch wenn 68 von ihnen niemals rückfällig würden.

Und:

Welches Restrisiko wollen wir uns leisten? Das ganze Leben ist verbunden mit Restrisiken. Man kann vom Blitz getroffen werden, Züge entgleisen. Man dürfte nicht mit dem Glugzeug fliegen, wenn die Maßgabe wäre: »Es darf kein einziges Flugzeug abstürzen.« So etwas geht nicht. Das Gleiche verlange ich für den Maßregelvollzug.«

Um auf die Kinder zurückzukommen, die ich schon anführte. Viele Probleme resultieren im Heranwachsen. Hier lässt sich sinnvoll eingreifen, aber die Kinder- und Jugendpsychiatrie ist hoffnungslos unterfinanziert und in der Politik existiert auch nicht der Wille dies zu ändern. Es wäre allerdings gut angelegtes Geld und die beste Variante, denn es wäre Opferschutz, weil der eine oder andere Gestörte gar nicht erst zu einem Täter werden würde.

Aber das lässt sich natürlich schlecht verkaufen. Besser ist, man kann vermelden, man hat soundsoviele Täter gefasst und weggesperrt. Die Ziffer der verhinderten künftigen Straftaten lässt sich vernünftig nicht beziffern und man kann mit ihr auch keine Politik machen.